Sie fand es spannend, diese Entwicklung mit scharfem Blick zu beschreiben, „Ausnahmen gab es ja schon länger, aber wir sind die Ersten, die das in großer Zahl so erleben“. Orientieren sich die zu dieser Generation Gehörigen manchmal zu sehr an den Männern, wenn sie ihren Platz in der Welt suchen? Im Roman war Luise Tietjens Tante seelisch daran zerbrochen, dass sie weder ein Kind bekommen konnte noch in das Unternehmen eingebunden wurde, ihre Mutter gab die kühle, gelangweilte Hausherrin. Die Tochter wiederum, sagt Nora Bossong, müsse sich nun mit den Hinterlassenschaften der Männerherrschaft im Betrieb herumschlagen. Wo sie auch hingehe, bekomme sie die Rituale einer maskulin dominierten Struktur zu spüren und reproduziere sie auf eine Weise, die ihr selbst nicht förderlich sei.

 

Die Vorbilder sind immer noch die Väter

Bossong schildert das sehr nuanciert, bei ihren Recherchen, erzählt sie, „kam mir der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Führungsstil in Unternehmen gering vor“. Eigentlich, sagt die Wahl-Berlinerin, hätte sie sich gewünscht, dass der Umbruch, der in den vergangenen dreißig Jahren in Bezug auf die Geschlechterrollen stattgefunden hat, „die Art und Weise, wie wir über Wirtschaft oder über Führung nachdenken, auch mehr verändern würde“. Aber „die Vorbilder, die wir haben“, sagt sie, „das sind eben doch noch unsere Väter“.

Auch davon handelt ihr Roman. Ist Schreiben für Bossong auch ein Weg, von anderen zu erzählen und damit die eigene Situation auszuloten? „Ich habe schon als Mädchen gerne für Geschichten, die man mir vorlas, einen anderen Schluss erfunden“, sagt sie. Dass Schreiben dann ihr Beruf wurde, sei „eher so passiert“, weil sie schon während ihres Studiums einige Preise gewann. Abwechselnd Lyrik und Prosa zu verfassen, empfindet sie als Geschenk: „Mein Gefühl für Sprache wird durch diesen Wechsel von einem zum anderen immer wieder geschärft.“ Ob sie davon auf Dauer wird leben können und wollen, weiß die Dreißigjährige noch nicht so genau. Sicherheit, das ist der Grundton ihres starken, selbstbewussten Tochterbuchs, hat die Vätergeneration den Nachfahrinnen nicht vererbt.