VW-Konzernchef Müller will dieses Jahr die Dieselprobleme bewältigen und bei den Innovationen Gas geben. Bei der Präsentation verzichtet der angeschlagene Konzern auf die sonst übliche große Show.

Genf - Vor dem Genfer Autosalon ging Volkswagen immer in die Vollen. Nichts war zu teuer, um Journalisten aus aller Welt vor dem ersten Pressetag Appetit auf die Neuheiten zu machen. So sang vor sieben Jahren der US-Superstar Pink bei der Weltpremiere des neuen Polo. Jahr für Jahr wurde eine sonst öde Halle für einen Abend kräftig aufgehübscht und für die Premieren in einen glitzernden Showpalast in den VW-Farben blau-weiß verwandelt. Unter den Kontrollblicken von VW-Patriarch Ferdinand Piëch und VW-Chef Martin Winterkorn, die in einem abgesperrten Bereiche der Tribüne saßen, fuhren die neuesten Modelle der vielen Konzernmarken herein, vom Skoda für Jedermann bis zum Bugatti für die Superreichen, vom lautlosen Elektroauto bis zum brüllenden Lamborghini. Dazu waberte Diskonebel, hämmerten Techno-Beats, zuckten Lightshows, traten Tänzer auf und Akrobaten.

 

In diesem Jahr ist alles anders. Die millionenteure Fete in der Halle Sécheron wurde abgesagt, weil der Konzern vom Abgas-Skandal durchgeschüttelt wird, sparen muss und mit dem neuen VW-Chef andere Zeiten angebrochen sind. „Get Closer. New Perspectives“ steht auf der Einladung. Irgendwo in Halle 7 des Palexpo-Messegeländes verbirgt sich ein „Volkswagen Group Loft“. Doch der Haupteingang ist dunkel und verschlossen. Keine Schlangen von Shuttle-Fahrzeugen wie sonst. Keine großen weißblauen Wegweiser. Journalisten irren in der Kälte herum. Auf der Rückseite der Halle am Rande des Flughafens schließlich schwere graue Türen mit asiatisch anmutenden Verzierungen – wie der diskrete Eingang zu einem Club. Davor schwarz gekleidete Sicherheitsleute, und ein gelbes Hinweisschild, das verrät, dass hier die Abendveranstaltung des Wolfsburger Weltkonzerns stattfindet.

Das Ambiente bleibt dieses Jahr bescheiden

In diesem Jahr sind nur „400 hochkarätige Journalisten“ eingeladen worden, wie VW-Kommunikationschef Hans-Gerd Bode seine Rede einleitet. Sonst waren es anderthalbtausend. „Wir rücken im besten Sinne des Wortes zusammen“, erklärt Bode den Slogan „Get Closer“ und das vergleichsweise bescheidene Ambiente. Statt einer großen Show in einer großen Halle gebe es „konzentrierte Gespräche und Botschaften“. Backsteinwände, hutschachtelförmige Retro-Lampen über den Stehtischen. Kupferne Kugelleuchten über der Bar vermitteln Club-Atmosphäre. Ringsherum stehen die neuen Automodelle. Keine Tänzer, keine Lightshow. Kein Winterkorn, kein Patriarch Piëch; stattdessen der neue Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, der in der Mitte des Raums alle überragt. Statt Ferdinand Piëch ist Hans Michel Piëch da sowie Wolfgang Porsche und etliche andere Mitglieder des PS-Clans, der beim Wolfsburger Konzern die Mehrheit der Stimmrechte hält. Auch die Markenchefs sind da und der silberhaarige neue Konzernchef Matthias Müller, der in seiner Rede ankündigt, dass VW „bei der Aufarbeitung der Abgasthematik gut vorankommt“. In diesem Jahr so Müller, solle „das Problem mit unseren Dieselmotoren“ gelöst werden.

Müller zeigt sich zuversichtlich

Müller weicht dem unangenehmen Thema Abgas-Skandal nicht aus. Im Januar bei der Messe in Detroit rutschte ihm im Interview mit dem Reporter eines Radiosenders eine Antwort heraus, die viel Wirbel auslöste. „Wir haben nicht gelogen. Wir haben nur zunächst die Fragen nicht verstanden“, widersprach Müller dem Reporter, der tief im Unternehmen ein ethisches Problem vermutete. Das weckte den Eindruck, dass Müller die Sache herunterspielen wolle. Später versuchte er die missglückte Antwort als Missverständnis zu erklären. Trotz dieser schlechten Erfahrung und obwohl US-Anwälte gerade in einer Anklageschrift Volkswagen ein „schmutziges Spiel“ sowie „Lügen und Tricks“ und „das unverschämteste Unternehmensverbrechen der Geschichte“ vorgeworfen haben, weicht Müller in Genf keiner der vielen unangenehmen Fragen der Journalisten aus. Er zeigt sich zuversichtlich, dass auch mit den scharfen US-Umweltbehörden eine Lösung zur Beilegung des Streits um die Abgas-Manipulationen gefunden werden könne. Er habe bei seinem Besuch in Washington im Januar „richtig gute Gespräche gehabt“, sagt Müller, während in den Medien berichtet wurde, Gina McCarthy, die Chefin der Umweltbehörde EPA, habe ihn kalt abblitzen lassen.

Müller will sich jedoch nicht auf Vergangenheitsbewältigung beschränken. Volkswagen soll zum großen Innovationssprung ansetzen, bei den Zukunftsthemen Elektromobilität und Digitalisierung ganz vorne mitspielen. Müller will die Krise als Chance nutzen und den Wandel im Unternehmen beschleunigen. Mitten in der härtesten Krise in der Firmengeschichte verspricht der Konzernchef vollmundig: „Volkswagen hat seine besten Zeiten noch vor sich.“

Johann Jungwirth war bei Daimler und Apple. Nun will er für die Wolfsburger das Auto der Zukunft entwickeln.

Genf - Er heißt Johann Jungwirth, aber alle nennen ihn JJ – englisch ausgesprochen: „Jayjay“. Der 42-Jährige ist „einer dieser heute noch seltenen Grenzgänger zwischen d er klassischen Autowelt und der Welt des Silicon Valleys“ , wie es V W-Chef Matthias Müller ausdrückt. „Mit ihm über die Zukunft der Mobilität zu diskutieren, ist faszinierend“, sagt Müller.

Jungwirth hat im kalifornischen Zentrum der IT- und Internetwirtschaft gearbeitet. Er leitete das Forschungszentrum von Daimler in Sunnyvale, wo an autonom fahrenden Autos gearbeitet wird. Dann heuerte er bei Apple an, wo er an der Entwicklung des iCar mitgewirkt haben soll. Nun will er das Auto der Zukunft für Volkswagen bauen. „Schön, dass ihr hier seid“, begrüßt Jungwirth die Gäste und kündigt eine Revolution der Mobilität an, die dem Umstieg vom Pferd aufs Auto gleichkomme. „In fünf Jahren sind wir so weit, dass der Volkswagen-Konzern Autos herstellt, die vollkommen autonom fahren können, die weder ein Lenkrad, noch ein Pedal haben“, sagt Jungwirth voraus, der seit November den Titel „Head of Digital Transformation“ bei Volkswagen trägt.

Jungwirth berichtet direkt an den Konzernchef Müller, der frischen kalifornischen Wind und den wagemutigen Gründergeist der Internetökonomie in den Weltkonzern aus der niedersächsischen Provinz bringen will. „Wir müssen selbst ein Stück weit mehr wie Apple, Google, Tesla oder Baidu denken und handeln“, sagt Müller, „nämlich schnell, pragmatisch und visionär.“