Trotz Frühwarnsystemen ist die Automobilbranche vor dem Ausfall von Schlüssellieferanten nicht gefeit. Die Lieferprobleme von Bosch bei BMW, die mittlerweile behoben sind, zeigen die Anfälligkeit der gesamten Branche.

Wirtschaft: Imelda Flaig (imf)

Stuttgart - Nicht nur die Zulieferer sind von den Autobauern abhängig, sondern auch umgekehrt. Das hat erst jüngst der Produktionsstillstand bei BMW gezeigt, als Bosch keine Lenkgetriebe mehr liefern konnte, weil ein eigener Lieferant – den man nun übernehmen wird – entsprechende Gussteile nicht beibrachte. Derzeit ist man noch dabei, die Lieferrückstände aufzuholen, damit die 8000 Autos die durch den Lieferengpass nicht gebaut werden konnten, baldmöglichst die BMW-Werke verlassen können. „Solche Phänomene werden noch zunehmen“, sagt Stefan Kemény von der Münchner Managementberatung Kemény Boehme & Company, die sich auf Lieferkettenmanagement zwischen Autoherstellern und Zulieferern spezialisiert hat.

 

Frühwarnsysteme signalisieren Schwierigkeiten

Bei Liefer- und Wertschöpfungsketten in der Autoindustrie geht es um eine „schier unüberschaubare Anzahl von Lieferanten, die global verstrickt sind“, sagt er. „Das ist mit einem Spinnennetz nicht mehr vergleichbar“, beschreibt er die komplexen und verschachtelten Zulieferer-Netzwerke. Und das System werde immer komplizierter und schwerer zu handhaben, prognostiziert der Experte – trotz existierender Frühwarnsysteme, die signalisieren, wenn Schwierigkeiten in der Lieferkette drohen.

Da gebe es Tools gespickt mit Echtzeitdaten, die möglicherweise die Lieferfähigkeit negativ beeinflussen können. Das reicht von Risikoeinstufungen zur Bonität bis hin zu Wetterdaten. Droht etwa ein Taifun über Taiwan zu fegen, können solche Systeme Einschätzungen abgeben, was das für die Lieferfähigkeit der dortigen Lieferanten bedeutet. Lieferengpässe können schließlich unterschiedlichste Ursachen haben – das reicht von Naturkatstrophen bis zu Qualitätsproblemen.

Deute sich ein Ausfall bei einem Zulieferer an, würden vom Autohersteller sehr schnell Eingreiftruppen losgeschickt, um die Produktion zu stabilisieren. Auch finanzielle Unterstützung durch Verkürzung der Zahlungsziele, Vorschusszahlungen oder ähnliches seien in solchen Sondersituationen üblich. „Am Ende erhöhen sich Ausfallrisiken natürlich, wenn auf einen einzigen Zulieferer gesetzt wird, so genanntes Single Sourcing“, sagt Tobias Keil, Zulieferer-Experte bei der Automobil-Strategieberatung Berylls Strategy Advisors in München. Kaum eine Handhabe habe ein Autobauer allerdings, „wenn der Zulieferer eigenwillig die Lieferkette unterbricht und dies aus Erpressungsgründen praktiziert – so geschehen im letzten Jahr bei VW mit der Firma Prevent“, so Keil.

Aus Kostengründen kaum noch Bestände

Der Fall Bosch und BMW zeigt, dass Lieferketten immer anfälliger werden. „Es ist immer der gleiche Interessenskonflikt: Kauft man rund um den eigenen Kirchturm ein, zahlt man höhere Preise, kann aber Risiken besser antizipieren“, sagt Keil. Lager und Bestände werden aus Kostengründen so gut wie kaum noch aufgebaut, stattdessen ist der Produktionsprozess mit Transport und Anlieferung der Teile eng getaktet – ähnlich einem Uhrwerk. Das benötigte Material soll genau dann im Werk eintreffen, wenn es weiterverarbeitet werden kann – und auch noch in der passenden Reihenfolge, also „just in time“ und „just in sequence“. Dabei gilt der Grundsatz: gleiche Produkte, gleiche Qualität und das an weltweit unterschiedlichen Standorten. Experte Kemény spricht von „unglaublichen Anforderungen“ an die Lieferkette. Systemlieferanten wie beispielsweise ein Bosch könnten zwar ihre Lieferanten der zweiten oder dritten Ebene zertifizieren nach ihren eigenen Vorgaben, letztendlich hätten sie aber keine Durchgriffsmöglichkeiten, wenn etwas schief laufe.

Einem Unternehmen wie Bosch drohen saftige Konventionalstrafen, wenn Lieferverträge nicht eingehalten werden. Doch das Unternehmen könne im Zweifel die Strafe nicht ohne weiteres an seine Lieferanten weitergeben, sagt ein anderer Branchenkenner. Wenn der Unterlieferant schwach auf der Brust sei, könne man die Kosten nicht auf ihn abwälzen, weil man dann möglicherweise ohne Lieferant dastehe. Nicht jeder Lieferant sei austauschbar.

Rückrufaktionen werden zunehmen

Auch wenn man auf mehrere Lieferanten für ein Produkt setzt, ist man vor Überraschungen nicht gefeit. Toyota etwa hatte 2011 bei der Reaktor-Katastrophe in Fukushima das Problem, dass eine ganze Reihe von Lieferanten aus der Region kamen, und konnte deshalb nicht produzieren. Auch entstehen Probleme nicht immer in der eigenen Lieferkette, können aber dennoch einen Dominoeffekt haben. Kemény erinnert sich an einen Fall eines Pigmentherstellers in Japan für Autolacke – der Ausfall dort habe in zig Werken bei verschiedenen Autobauern für Engpässe in der Lackierung gesorgt.

Die zunehmende Produktkomplexität dürfte solche Probleme noch verstärken: Stichwort E-Mobilität und autonomes Fahren. Neue Lieferanten spielen künftig eine wichtige Rolle in der Lieferkette. Das System werde immer komplexer, das erzeuge systemkritische Effekte. Nach Ansicht von Kemény werden Anzahl und Umfang der Rückrufaktionen steigen. Kommt es bei einem Zulieferer zu Problemen, könnten gleich mehrere Hersteller betroffen sein.

Von Verschiebungen unter den Zulieferern spricht auch Experte Keil: „Ganz klar werden wir in Zukunft einen zunehmenden Einfluss von Zulieferern aus dem sogenannten CASE-Umfeld sehen.“ CASE steht für vernetzt, autonom, geteilte Mobilität, elektrisch. „Wenn kein weiteres Wachstum bei klassischen Verbrennungsmotoren mehr realisiert werden kann und Elektromobilität zu einem Massenmarkt wird, werden diejenigen Zulieferer ein Nachsehen haben, die noch nicht in den Zukunftsfeldern positioniert sind“, so Keil. „Der Kuchen wird ab dann für diese Unternehmen immer kleiner.“

Bosch und Conti sind Spitzenreiter in der Milliardenbranche

Bis ein Auto vom Band läuft, sind unzählige Lieferanten involviert. Fachleute gehen davon aus, dass mittlerweile gut 70 Prozent der Wertschöpfung bei den Zulieferern entstehen – also der Anteil der Autohersteller an der Fertigungstiefe bei weniger als 30 Prozent liegt. Die Autozulieferbranche ist eine Milliardenbranche, und deutsche Zulieferer spielen weltweit ganz vorne mit. Nach einer Studie der Strategieberatung Berylls Strategy Advisors setzten allein die 17 größten deutschen Zulieferer 2016 insgesamt 186 Milliarden Euro um, das entspricht einem Plus von 7,4 Prozent gegenüber 2015. Unter den Top Ten weltweit sind mit Bosch, Continental und ZF drei deutsche Unternehmen. Die deutschen Zulieferer sind in jedem Geschäftsfeld vertreten: Von Motoren über Getriebe, Karosserie, Elektronik über Innenausstattung und Außendesign.