Helmut Rilling, Leiter der Stuttgarter Bachakademie, spricht im StZ-Interview über das Engagement seiner Akademie beim Stuttgarter Musikfest.  

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Das Musikfest geht in die zweite Festivalwoche. Konzerte an ungewöhnlichen Orten wechseln sich ab mit großen Aufführungen in der Liederhalle oder in der Stiftskirche. Vom Publikum besonders begehrt sind dabei wie eh und je die Konzerte des 78-jährigen Akademieleiters Helmuth Rilling.

 

Herr Rilling, zur Eröffnung des Musikfestes haben Sie in der Liederhalle einen bejubelten "Elias" von Felix Mendelssohn dirigiert, mit dem herausragenden Solisten Markus Eiche als Propheten. Woran hängt der Erfolg eines solchen Abends?

Nun, der "Elias" ist ein zentrales Stück der geistlichen Musik des neunzehnten Jahrhunderts und begleitet mich schon ein Leben lang. Es ist zweierlei, was da zusammenkommt: Die jahrzehntelange Beschäftigung mit diesem anspruchsvollen Werk, dessen Aspekte man immer neu auslotet - und dann das Glück eines lebendigen Abends, das gar nicht immer in unserer Hand liegt: die Stimmung der Solisten, der Gächinger, des Orchesters und auch des Publikums mit seinen Reaktionen. Manchmal passt einfach alles zusammen.

Trotzdem gab es kein ganz geringes Handicap: Der eigentlich engagierte Thomas Quasthoff musste kurzfristig absagen, Markus Eiche sprang ein. Wie schafft man es dennoch, dem Publikum ein Konzert von Festivalqualität zu bieten ?

Ich kenne beide Sänger sehr gut und habe auch den "Elias" schon mit beiden aufgeführt. Aber Sie haben recht: die Interpretation der Figur des Propheten veränderte sich stark. Thomas Quasthoff singt ihn viel verhaltener, in den Zwischentönen hochkonzentriert. Markus Eiche ist kantiger und kraftvoller. Ich kenne niemanden, der am Anfang des Oratoriums den Fluch des Propheten so machtvoll herausschleudert wie er.

Und wann weiß der Dirigent Rilling selbst, dass die Aufführung gelungen ist?

Natürlich hat man schon während der Aufführung eine Ahnung. Aber der große Moment kommt immer erst, wenn ich spüre, wie das Publikum reagiert, wenn ich weiß, was von unserem Bemühen bei ihm wirklich angekommen ist.

Sommerakademien, Europäische Musikfeste, Stuttgarter Musikfeste: Sie blicken auf eine lange Ära sommerlicher Festivals der Bachakademie zurück. Was sind die wesentlichen Veränderungen?

Erstmal sollte man feststellen: Es muss sich immer etwas verändern! Wir können ja nicht feststellen, ach, in diesem Sommer war alles so schön, genauso machen wir es im nächsten Sommer wieder. Die Kultur lebt von beidem, vom Bewahren und vom Entwickeln, also von der Veränderung. Genau diesen Auftrag, das Bewahren und Verändern, hat unser Intendant Christian Lorenz bei seinem Antritt an der Bachakademie bekommen. Dies schlägt sich auch in unserem Musikfest nieder. Wir bewahren die Tradition der Aufführung großer Werke der geistlichen Musik, suchen aber auch nach neuen Formen, neuen Konzertorten in der Stadt, die man vorher gar nicht so kannte, nach neuen Partnern. Dass solche Veränderungen unterschiedlich bewertet werden, liegt in der Natur der Sache. Aber wir selbst bei der Bachakademie sind uns in der Sache völlig einig.

Auf der Suche nach einem Nachfolger

Ihr eigener Anteil am Musikfest ist weiterhin stark. Dessen zweite Woche wird geprägt von vier Gesprächskonzerten, die mittags in der Stiftskirche stattfinden und sich mit Bachkantaten befassen. Was hat das aber mit dem Festivalmotto "Wasser" zu tun?

Na, da können Sie doch gerade sehen, wie das Neue das Gewohnte in anderem Licht erscheinen lässt. Unser Intendant Lorenz fragte mich irgendwann: Können Sie nicht etwas machen zum Thema Wasser bei Bach? Erst fand ich diesen Vorschlag skurril, aber als ich dann mal in Ruhe die Kantaten durchging, war ich überrascht, dass in einem Drittel davon das Wasser im weitesten Sinn tatsächlich eine Rolle spielt, dass Bach sehr genau darauf reagiert, es abbildet und als Symbol benützt.

Ihr Modell des Gesprächskonzertes, diese Mischung aus Konzert und Erläuterung am musikalischen Beispiel, bleibt offenbar unschlagbar. Dabei gibt es immer wieder Kritiker, die fragen: Warum so viel reden über Musik, die Leute sollen lieber hören!

Viele Menschen lieben Bachs Musik, sie empfinden sie als besonders schön. In den Gesprächskonzerten geht es mir darum, ihnen bewusst zu machen, warum sie diese Musik lieben. Es gibt gerade bei Bach so viel Wertvolles, was man beim ersten Hören nicht erfassen kann. Mir ist es wichtig, den Hörer zu einem tieferen Verständnis dieser Musik zu führen.

Sie sind in aller Welt aktiv. Bleibt das Interesse an der Bachakademie auch international wach?

Gerade war ich in Hongkong. Wir haben vor vollem Haus die h-Moll-Messe aufgeführt - mit einem jungen chinesischen Chor, chinesischem Orchester und chinesischen Solisten. Aber nicht genug damit, unsere Partner wollten auch einen Gesangskurs und Gesprächskonzerte, und natürlich habe ich das gern gemacht. Das ist ja die Aufgabe unseres Hauses: Wir exportieren die Musik von Bach dorthin, wo sie noch nicht selbstverständlich ist, jetzt sogar bis nach China.

Man merkt, Ihr Terminkalender ist weiterhin randvoll. Ihr Engagement für die Bachakademie bleibt ungebrochen?

Wir sind auf der Suche nach einem Nachfolger für mich, der in zwei Jahren einsteigen soll. Auch hier gilt: Bewahren und Erneuern.

Die Höhepunkte der zweiten Woche

Akademie: Helmuth Rilling, geboren 1933 in Stuttgart, ist weltweit einer der führenden Kenner und Interpreten von Johann Sebastian Bach. Er zählt zu den Gründern der Gächinger Kantorei (1954), des Bach-Collegiums Stuttgart (1965) und der Internationalen Bachakademie (1979) im Stuttgarter Westen, deren Leiter er bis heute ist, gemeinsam mit dem Intendanten Christian Lorenz und dem Dramaturgen Michael Gassmann.

Gesprächskonzerte: An vier Mittagen beschäftigt sich Rilling mit „Bachs Wassermusiken“. Am Dienstag (6. 9.) geht es um die Kantate „Jesus schläft, was soll ich hoffen?“ (BWV 81), am Mittwoch um die Kantate „Christ unser Herr zum Jordan kam“ (BWV 7), am Donnerstag um die Kantate „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ (BWV 26) und am Freitag um „Das Motiv des Wassers in Johann Sebastian Bachs Passionen“. Ausführende sind die Gächinger Kantorei und das Bach-Collegium sowie Teilnehmer des Musikfest-Meisterkurses Gesang. Beginn: jeweils um 13 Uhr in der Stiftskirche.

Programm: Das Musikfest steht unter dem Motto „Wasser“ und findet noch bis zum 18. September statt. Einige Höhepunkte der zweiten Woche: der Auftritt des finnischen Vokalensembles Rajoton am 6. 9. um 22 Uhr im Mineralbad Berg, das Klavierkonzert mit Peter von Wienhardt am 8. 9. um 22 Uhr im Mozartsaal der Liederhalle und der gemeinsame Auftritt der Schauspielerin Corinna Harfouch mit dem Pianisten Hideyo Harada am 10. September um 22 Uhr im Wilhelma-Theater. Diese Konzert ist allerdings schon ausverkauft.

Wasser: Am Mittwoch reist der „Artist in Residence“ aus den USA an, der Komponist Tan Dun. Am 10. 9. dirigiert er im Römerkastell einen Abend mit zwei eigenen Werken, das Water Concerto und das Paper Concerto. Drei große Meeresstücke von Edward Elgar, Benjamin Britten und Ralph Vaughan Williams stehen am 11. September um 19 Uhr im Beethovensaal auf dem Programm, dirigiert von Vladimir Ashkenazy.

Programm und Karten unter www.musikfest.de