Die Bundesakademie des Bäckerhandwerks in Weinheim an der Bergstraße wird 75 Jahre alt – sie lockt Profis aus aller Welt, denn die „German Art of baking“ ist weltweit gefragt.

Weinheim - Mehr als 5000 Bäcker haben hier in den letzten 75 Jahren ihren Meistertitel erworben. Auch der Fußballspieler Jürgen Klinsmann hat in der „Akademie Deutsches Bäckerhandwerk“ in Weinheim seine Kenntnisse als Bäckergeselle vervollkommnet, bevor er Anfang der 1980er Jahre der väterlichen Backstube endgültig Ade gesagt und sich ganz dem Sport zugewandt hat. Am 8. Dezember feiert die Akademie im schmucken Waldschlösschen am Stadtrand von Weinheim ihr 75-jähriges Bestehen.

 

Als das Haus 1938 mitten im Nationalsozialismus als Fortbildungs- und Erholungsstätte für Bäcker aus Baden, Hessen, Saarpfalz und Württemberg eröffnet wurde, standen neben Fachrechnen, Buchführung und Teigbereitung auch zwei Stunden „Weltanschauung“ auf dem Programm. Das ist Geschichte. Heute ist die Akademie eine attraktive Adresse für Profis aus der ganzen Welt. In den vergangen acht Jahren haben sich die Teilnehmerzahlen der Kurse verzehnfacht. Schon heute, erklärt Bernd Kütscher der Direktor der Akademie, „sind wir bis 2015 ausgebucht“. 3000 Bäckerinnen und Bäcker sowie deren Mitarbeiter kommen pro Jahr nach Weinheim. Die meisten von ihnen besuchen die Meisterkurse, daneben gibt es verschiedene Fortbildungsseminare und Kurse für Verkäuferinnen. Doch die schönsten Schlagzeilen bringen die internationalen Gruppen, die in Weinheim den Geheimnissen des deutschen Backens auf die Spur kommen wollen.

Das deutsche Bäckerhandwerk genießt einen guten Ruf

„The German Art of Baking“ ist rund um den Globus gefragt. Deshalb haben die Akademie-Mitarbeiter einen englischsprachigen Kurs mit just diesem Titel entwickelt und lassen sich bei Bedarf auch von Fachdolmetschern unterstützen. „Die deutsche Bäckerkunst hat einen hervorragenden Ruf in der ganzen Welt. Die Vielfalt des Brotes sucht ihresgleichen – es gibt in jedem Land einen Markt dafür“, sagt Kütscher. „Ein Bäcker, der heute in Japan einen Deutschen Meisterbrief vorweisen kann, ist ein gemachter Mann“. In Weinheim waren schon Gruppen aus Australien und Südafrika, aus Brasilien und Russland, aus Mexico und dem Iran. „Nur in der Mitte Afrikas ist noch ein größerer weißer Fleck; auch aus Chile und Grönland war bisher noch niemand da“, sagt Kütscher. Das internationale Interesse spiegelt sich auch am Schwarzen Brett der Schule. Da wird – neben einem Betriebsnachfolger für ein kleines Café im Odenwald – ein deutscher Bäcker für eine Großbäckerei in Indien gesucht, ein Filialleiter für einen französischen Mühlenkonzern und ein Bäcker für Winnipeg, Kanada.

Dabei hatten die Initiatoren der Akademie einst andere Intentionen: es ging um die Erfüllung des Vierjahresplans der Regierung Adolf Hitler und um die Versorgung des großdeutschen Reiches. „Das deutsche Bäckerhandwerk . . . hat die Aufgabe, dem Volk gesundes Brot zu liefern“, sagte damals Reichsinnungsmeister Grüßer, der aus Berlin zur Eröffnung gekommen war. Dafür müsse „von unten herauf die Existenzerhaltung betrieben“ und geschult werden „zum Dank für die großen Taten des Führers“, berichteten die „Weinheimer Nachrichten“. „Das deutsche Volk muss so stark sein wie möglich, um seine Position zu erhalten. Das nationalsozialistische Deutschland kennt kein rückwärts, sondern nur ein vorwärts“, erklärte der badische Ministerpräsident Walter Köhler, ein gebürtiger Weinheimer. bei der Feier ein Jahr vor Kriegsbeginn. „Die Bäcker sind ein entscheidendes Glied in der deutschen Volkswirtschaft. Dieses Handwerk sorgt für die Volksernährung und damit für die Volksgesundheit.“ Schon wenig später musste die neue Schule allerdings als Lazarett herhalten. Erst 1948 wurde sie wieder eröffnet. Heute, sagt Peter Becker, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks und Vorsitzender der Akademie, „gilt sie als Hort der deutschen Brotkultur“. Als Bundesakademie sei sie eine Bildungseinrichtung „mit hoher Akzeptanz und enormem Zuspruch aus aller Welt“. Wer sich für ihre Anfänge interessiert, muss allerdings ins Stadtarchiv. Die Akademie, gesteht Kütscher, verfüge nur noch „über wenige historische Quellen“.

Die Bundesakademie und das deutsche Brotregister

Die staatlich anerkannte Schule in Weinheim ist die zentrale Bildungseinrichtung aller Landesinnungsverbände und des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Mit ihren 28 Mitarbeitern bietet sie Seminare für Fach- und Führungskräfte. Lehrlinge werden bundesweit in mehreren Städten unterrichtet, unter anderem an der württembergischen Bäckerfachschule in Stuttgart. Beim Start vor 75 Jahren dauerten die Meisterlehrgänge in Weinheim zwei Wochen. Heute dauern die Kurse ein halbes Jahr – und sie sind sehr begehrt. Neben dem Meistertitel kann man dort auch den Abschluss „Betriebswirt des Handwerks“ erwerben. Die Weinheimer Akademie führt auch das Deutsche Brotregister. Vom „genetzten Albleib“ bis zum „Pane rusticale“ wurden in den vergangenen drei Jahren schon mehr als 3000 Brotspezialitäten aufgenommen. In den handwerklichen Betrieben gehe der Trend längst wieder weg von den gekauften Backmischungen, sagt der Akademiechef Kütscher