Am 20. April vor zehn Jahren ist Wolle Kriwanek verstorben. Der Sänger, Gitarrist und Sonderschulpädagoge hat die Mundartmusik salonfähig gemacht – Erinnerungen an einen außergewöhnlichen Menschen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Der Wahl-Backnanger Wolle Kriwanek konnte von seiner Wohnung mitten in der Murrstadt hinunter gucken auf jenen Platz, auf dem im Jahr 1971 alles so richtig angefangen hat. Beim Nachwuchsfestival während des aller ersten Backnanger Straßenfest, das damals noch Schlagerwettbewerb hieß, hatte der schlaksige junge Mann mit dem blonden Afrolook alle überzeugt, die Jungen wie die Alten im Publikum – und die Jury. Der Sänger und Gitarrist aus Stuttgart-Stammheim spielte „Sunny“, und das Volk tobte.

 

Vor zehn Jahren ist Wolle Kriwanek an einem nicht erkannten Aneurysma plötzlich verstorben, während er sich im Fernsehen seiner zweiten großen Leidenschaft hingab: der Formel eins. 20. April 2003, Ostersonntag – seine Fans und viele andere wissen ganz genau, wo sie an jenem lauen Tag im April vor genau zehn Jahren waren, was sie damals getan, was sie gedacht, was sie gefühlt haben, als sie vom Tod des 53-jährigen Musikers im Radio gehört haben. Kriwaneks Sohn Benjamin, damals 20 Jahre alt, war daheim bei seinen Eltern in Backnang. Er sagt, „mein Vater wurde aus dem Leben gerissen, wir konnten nichts mehr tun.“

Mahalia Jackson war das Erweckungserlebnis

In den Wochen vor dem zehnten Todestag des Schwobarockers ist Benjamin Kriwanek öfter als sonst angesprochen worden auf seinen Vater. Viele Zeitungen haben angefragt, der Filius hat Radioreportern Interviews gegeben. Benjamin Kriwanek erzählt, dass der Wolle als kleiner Bub ein musikalisches Erweckungserlebnis gehabt habe. Wolfgang Kriwanek, Jahrgang 1949, hat damals ein Konzert von Mahalia Jackson im Fernsehen gesehen – und es war um ihn geschehen. Zum Ärger seiner Eltern spielte der Sohnemann fortan den Blues, „Negermusik“, hätten sie abfällig bemerkt. Der Wolfgang indes ließ sich nicht beirren.

Später hat sich Wolle Kriwanek oft als „einen Musiker mit Leib und Seele“ beschrieben. Doch er war weit mehr: Pädagoge schwer erziehbarer Kinder – zuletzt hat Kriwanek in einer Backnanger Außenklasse der Bodenwaldschule Winnenden gearbeitet. „Ohne Gefühl mach’ ich diesen Beruf nicht“, soll er oft gesagt haben. Der Lehrer und Musiker hat den schwäbischen Dialekt bluesfähig geknetet. Er war ein unermüdlicher Förderer des musikalischen Nachwuchses im Land, Jurymitglied, auch beim Backnanger Straßenfest, und Zeitungskolumnist, für „Sonntag Aktuell“ hat er Nachwuchstalente aufgespürt und porträtiert. Er war Vorsitzender der Rockstiftung Baden-Württemberg, aus der die Popakademie in Mannheim hervorging. Der Musiker, der nur mit einer Klampfe in den Händen und mit seiner Stimme ganze Hallen zum Kochen bringen konnte, wurde vom Verband Region Stuttgart als „Regionaut“ ausgezeichnet. Er hat die VfB-Hymne „Stuttgart kommt!“ geschrieben und für Mercedes den Song „Silver Arrow“. Bei ungezählten Benefizveranstaltungen spielte der Wolle für umme.

Wichtigtuerei war ihm fremd

Es gibt wohl kaum jemanden, der Wolle Kriwanek ein wenig gekannt hat, und diesen außergewöhnlichen, bodenständigen Menschen nicht arg gemocht hätte. Kriwanek ist sich immer treu geblieben. Wichtigtuerei war ihm fremd. Benjamin Kriwanek sagte, seinem Vater seien die Schützlinge in der Sonderschule mindestens so wichtig gewesen wie die Fans.

Nach dem Abi am Wirtschaftsgymnasium in Stuttgart hat Kriwanek von 1969 bis 1972 an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg studiert, damals sang er in der PH-Big-Band. Dann kam der besagte Tag im Sommer 1971 auf dem Backnanger Straßenfest, als er mit „Sunny“ absahnte. 1975 kürte der Süddeutsche Rundfunk den Schwabenrocker mit seinem „Badewannen Blues“ zum besten Liedermacher des Landes. Zusammen mit seinem Freund, dem Gitarristen Paul Vincent, hat Wolle Kriwanek ungezählte Lieder geschrieben. Er hat das Schwäbische in der Rockmusik salonfähig gemacht. Seine Fans können die Liedtexte noch immer auswendig mitsingen: „I muss die Stroßabah no kriege“, „Guck, guck, in han a Ufo g’säa“, „I fahr Daimler“.

Profimusiker statt Lehrer

1980 ließ sich Kriwanek vom Schuldienst befreien, wurde Profimusiker. 1982 kam Benjamin, das einzige Kind, zur Welt. Der Papa und seine Band füllten auch die großen Hallen. Es gibt Leute, die erzählen, dass Wolle und seine Mitspieler als Vorgruppe des Panikorchesters dem großen Udo Lindenberg bei dem schwäbischen Heimspiel in der Hohenstaufenhalle in Göppingen die Schau gestohlen hätten. 1986 kehrte Kriwanek zurück in den Schuldienst, die Musik wurde wieder zum „bezahlten Hobby“, wie er einmal grinsend erklärte. Benjamin Kriwanek erinnert sich an viele Gespräche mit seinem Vater, oft wurden über neue eingespielt Hits kontrovers diskutiert. „Ich hab ihm gesagt, was mir gefällt und was nicht.“ Als Teenager stand Kriwanek junior mehr auf Hardrock von AC/DC und Aerosmith und auf Michael Jackson. „Früher habe ich weniger Wolle gehört“, sagt er. Wie fast alle Kinder habe auch er sich vom Vater abgrenzen müssen. Aber jetzt, mit dem Abstand eines langen Jahrzehnts, stellt Benjamin fest: „Es sind verdammt gute Songs dabei.“ Sein Lieblingslied ist „Ich hab den Blues (doch nicht erfunden)“ von 1989.

Wolle Kriwanek ist vor zehn Jahren gestorben, er hatte noch große Pläne. Wenige Tage vor seinem Tod war die CD „Zucker & Salz“ erscheinen, das Musical „Zwölftonkavalier“ war fast fertig. Wolle Kriwanek ist tot, seine Lieder leben weiter.

Am Samstag treten die Füenf in der Backnanger Stadthalle auf. In ihren unverwechselbaren Vokalstil singen die Musiker Lieder von Kriwanek. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr. Zeitgleich treten Gitze und Band im Bildungszentrum Weissacher Tal auf. Auch Paul Vincent ist bei diesem „Bescht of Schwabenrock“-Konzert dabei. Benjamin Kriwanek hat nicht lange überlegt – er und seine Mutter wollen zum Gig der Füenf in Backnang kommen.

Füenf singen Klassiker von Kriwanek

Sie haben sich gegenseitig geschätzt. Doch musikalisch trennten Wolle Kriwanek, Christian Langer, bei den Füenf besser bekannt als Justice, und Pelvis alias Jens Heckermann stets Welten. Nun hat die A-Capella-Formation eine CD mit Klassikern des schwäbischen Soul- und Bluessängers veröffentlicht. „Füenf singen Kriwanek“ heißt sie schlicht. Schnell wird deutlich: es sind für die Füenf Hymnen aus einer anderen Welt, mit denen sie sich für ihre Hommage auseinandergesetzt haben.

Besonders gelingt das immer, wenn sich das Gesangsquintett ganz weit vom Original entfernt. Etwa wenn Dottore Basso des Bankangestellten Traum vom „Easy Rider“ grummelt. Oder wenn Kriwaneks Version von „Oinr isch emmer d’r Arsch“, also den Abzählreim „Enne denne dubbe denne“, herrlich verrappt und mit Falcos „Kommissar“ aufgepeppt daherkommt.

Schwieriger wird es bei „Stroßaboh“, „Ufo“ oder „Herbertstroß“. Da hatte Kriwaneks Stimme – wie er es selbst trefflich gesagt hat – „oifach mehr Oier“. Dennoch macht es Spaß, den knitzen Charme der alten Nummern wieder zu entdecken.