Mehr als 11 000 Wohnungslose werden im Südwesten in sozialen Einrichtungen betreut - gut neun Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Verbände warnen vor einer weiteren Zunahme der Armut. Sie rufen das Land und die Kommunen auf, sich der Herausforderung zu stellen.

Mehr als 11 000 Wohnungslose werden im Südwesten in sozialen Einrichtungen betreut - gut neun Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Verbände warnen vor einer weiteren Zunahme der Armut. Sie rufen das Land und die Kommunen auf, sich der Herausforderung zu stellen.

 

Karlsruhe - Wohnungsnot und Armut im reichen Baden-Württemberg haben nach Einschätzung von Wohlfahrtsverbänden deutlich zugenommen. So stieg die Zahl der Menschen ohne Wohnung oder in anderen prekären Lebenslagen im vergangenen Jahr um 9,4 Prozent auf mehr als 11 200, wie die Liga der freien Wohlfahrtspflege am Freitag in Karlsruhe mitteilte. Dem Zusammenschluss gehören unter anderem das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die kirchlichen Hilfswerke Diakonie und Caritas an. Ein Jahr zuvor war die Zahl der Bedürftigen noch leicht zurückgegangen.

Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) sagte zu dem Bericht der Verbände, die Wohnungspolitik sei ein Schwerpunktthema der Landesregierung. Ein entsprechendes Paket mit gesetzlichen Maßnahmen und Förderprogrammen sei im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht worden. Dieses werde nachgelegt, sagte Schmid der Nachrichtenagentur dpa. „Bezahlbarer Wohnraum ist gerade für Familien und Menschen mit kleinem Geldbeutel existenziell wichtig.“

Die Verbände registrierten zum Stichtag 27. September 2013 insgesamt 11 273 Menschen in den 326 Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe, die nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Anspruch auf Unterstützung haben. Das tatsächliche Ausmaß von Obdachlosigkeit im Land sei sicherlich noch viel größer, sagte Michael Wolff vom Caritasverband in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Viele vor allem jüngere Wohnungslose würden sich oft gar nicht erst an die Einrichtungen wenden.

Das Bild der Obdachlosigkeit habe sich verändert, erklärte der Sozialarbeiter Jörg Mauter, Geschäftsführer des Vereins Sozialpädagogische Alternative in Karlsruhe. Soziale Ausgrenzung mache Armut weniger sichtbar. „Die Menschen sitzen in den Unterkünften und warten darauf, dass etwas passiert.“

Die Lage von wohnungslosen Menschen im Land ist besorgniserregend

Bei der Vorstellung ihres Berichts im Karlsruher Tagestreff für Frauen sprachen die Vertreter der Verbände von einem deutlichen „Indiz für eine zunehmende Armutsentwicklung in Baden-Württemberg“. Vor allem in den Ballungsräumen um Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart habe sich die Wohnungsnot verschärft, sagte Wolff.

Die Lage von wohnungslosen Menschen im Land sei besorgniserregend. „Wohnraum wird immer teurer und die Nebenkosten schießen durch die Decke.“ Oft könnten Menschen trotz eines geregelten Einkommens ihre Miete nicht mehr bezahlen. Wolff forderte die grün-rote Landesregierung auf, mehr zu tun, „damit sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt entspannt und sich langfristig etwas ändert“.

Der Karlsruher Sozialbürgermeister Martin Lenz (SPD) sagte: „Wir sind immer noch in Zeiten, in denen Armut Lobby braucht.“ Der Verlust der Wohnung treffe die Menschen besonders hart. „Armut darf nicht unter den Teppich gekehrt werden“, forderte Lenz. Die Stadt Karlsruhe habe jetzt ein neues kommunales Wohnungsbauprogramm beschlossen und dafür sechs Millionen Euro im Haushalt bereitgestellt.

Der von den Verbänden vorgelegte Bericht sieht eine Ursache der Wohnungsnot darin, dass sich die Zahl der mietpreisgebundenen Sozialwohnungen in Baden-Württemberg in den vergangenen 10 bis 15 Jahren auf 65 000 mehr als halbiert habe. Der Bedarf liege hingegen bei 500 000 Sozialwohnungen.

Die Statistik der Verbände erfasst diejenigen „Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind“. In der Sozialarbeit werden sie nach dem entsprechenden Paragrafen im SGB kurz „67er“ genannt. Der Anteil der Hilfesuchenden war in den Städten Stuttgart, Freiburg und Ulm am höchsten. Am geringsten ist die soziale Not bezogen auf die Einwohnerzahl demnach in den Landkreisen Heilbronn, Rastatt und Tübingen.