Vor vier Jahren haben die baden-württembergische Landesregierung und der Landesverband der deutschen Sinti und Roma einen Staatsvertrag unterzeichnet – seither ist viel in Gang gekommen. Die Vorurteile in vielen Köpfen aber sind geblieben.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Bad Urach/Heidelberg/Mannheim - Es ist ein ernüchterndes Zitat, das der Landesverband Deutscher Sinti und Roma und die Landeszentrale für politische Bildung als Titel für ihren zweitägigen Kongress gewählt haben, der an diesem Montag und Dienstag in Bad Urach Politiker, Historiker und Angehörige dieser Volksgruppe zusammenbringen wird. „Nichts oder fast nichts hat die Gesellschaft daraus gelernt“ – so sagte Zoni Weisz vor einigen Jahren bei einer Rede im Bundestag über den „vergessenen Holocaust“ an den Sinti und Roma, und so steht es nun auch über der Einladung für die Tagung.

 

Das Zitat hat seine Berechtigung, denn viele Studien zeigen, dass Sinti und Roma bis heute vielfacher Stigmatisierung ausgesetzt sind – sie bekommen beispielsweise oft nur schwer eine Wohnung oder einen Job. In der Tagung wird es deshalb auch um stereotype Sichtweisen gehen, etwa in Polizeibehörden oder in den Medien.

Beratungszentrum für Zuwanderer aus Osteuropa

Doch das Zitat von Zoni Weisz stimmt auch wieder nicht, denn gerade in Baden-Württemberg ist seit der Unterzeichnung des bundesweit ersten Staatsvertrages mit dem Landesverband vor vier Jahren viel geschehen. Auch der Landesvorsitzende Daniel Strauß betont deshalb: „Der Staatsvertrag war ein großer Meilenstein. Die Sinti und Roma sind in Baden-Württemberg angekommen.“ Seither erhält der Landesverband eine jährliche Förderung von 500 000 Euro; im Gegenzug übernimmt er bestimmte Aufgaben. So wurde in Mannheim, wo sehr viele Menschen aus Osteuropa ankommen, ein Beratungszentrum geschaffen – es unterstützt Einheimische und Zuwanderer in allen Fragen. 1150 Beratungen hat es seit 2013 gegeben.

Ein weiterer zentraler Punkt des Vertrages ist ebenfalls verwirklicht: Im Juli dieses Jahres hat die Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg ihre Arbeit aufgenommen. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, unterstützt von Doktoranden und Hilfskräften, gehen dort eine Doppelaufgabe an: Sie forschen einerseits historisch, aber sie sollen auch dazu beitragen, Vorurteile gegen Sinti und Roma abzubauen. Daniela Gress ist eine der beiden Wissenschaftler. Über den Mechanismus des Vorurteils sagt sie: „Es beruht immer auf einer Homogenisierung; sprich, Vergehen einzelner Personen werden auf eine ganze Gruppe übertragen.“ Man müsse deshalb stark mit Fakten arbeiten, um Vorurteile zu „dekonstruieren“.

Opernsängerin Anna Netrebko stammt von Roma ab

Auch Theresa Schopper, die als Staatssekretärin im Staatsministerium die zentrale Person für dieses Thema ist, sieht noch viel Arbeit vor sich. „Es gibt weiter wichtige Herausforderungen, etwa die hohe Rate des Analphabetismus oder die Wohnungsnot, die auch bei Sinti und Roma groß ist.“ Auch das Ziel, in den Schulen mehr über die Verfolgung und Unterdrückung der Sinti und Roma zu sprechen, sei noch nicht erreicht. Aber der Staatsvertrag, der nächstes Jahr ausläuft, habe auf jeden Fall einen „unglaublichen positiven Schub“ gebracht und soll verlängert werden.

Schopper glaubt, dass man etwa viel erreichen kann, wenn man positiv besetzte Vorbilder unter den Sinti und Roma stärker bekannt macht. So würde etwa die Opernsängerin Anna Netrebko von Roma abstammen. Auch Daniel Strauß will die Geschichte stärker thematisieren, und zwar inklusive der Klischees. Dass etwa Sinti und Roma oft mit Wohnwagen unterwegs sind, liege schlicht an einem Gesetz, das ihnen vor 300 Jahren das Wohnen in den Städten verboten habe. „Damals wurden wir dazu gezwungen, heute gehört es zu unserer Kultur“, sagt er.