Bahnpendler können ein Lied davon singen: verspätete Züge, verpasste Anschlüsse, Wartezeiten auf kalten Bahnsteigen. Der Fahrgastbeirat fordert, dass die Passagiere jetzt wenigstens entschädigt werden.

Stuttgart - Die wachsende Unzuverlässigkeit des Regionalverkehrs darf aus Sicht des Verkehrsclubs Deutschlands (VCD) für die Betriebe nicht länger weitgehend folgenlos bleiben. „Die Fahrgäste im Südwesten haben im abgelaufenen Jahr mit deutlich mehr Verspätungen und Zugausfällen zurecht kommen müssen“, sagte VCD-Landeschef Matthias Lieb. „Sie müssen endlich auch für die Unannehmlichkeiten entschädigt werden“, verlangte Lieb, der auch den Fahrgastbeirat des Verkehrsministeriums leitet. Pro Tag nutzen 3,5 Millionen Fahrgäste den Nahverkehr im Land.

 

Am stärksten fiel nach einer Statistik der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg in den vergangenen zwölf Monaten der Service bei der Deutschen Bahn ab. Waren im Januar 2012 noch fast 97 Prozent aller Züge der DB Regio (Großer Verkehrsvertrag) pünktlich, waren es im Oktober nur noch 89 Prozent. Das sei besonders bedauerlich, sagte Lieb. „Denn auf die DB Regio entfällt der Löwenanteil der Passagiere.“ Die schwarz-gelbe Koalition hatte 2003 im Zuge des milliardenschweren Großen Verkehrsvertrages 40 von 65 Millionen Zugkilometern pro Jahr ohne Ausschreibung an die DB Regio vergeben.

Stuttgart 21 als Grund für schlechten Service

Als wichtigsten Grund für den schlechteren Service der DB Regio nannte Lieb die Arbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 am zentralen Knotenpunkt Stuttgart. Im Sommer war es infolgedessen zu mehreren Entgleisungen am Stuttgarter Bahnhof mit Auswirkungen auf den gesamten Verkehr gekommen.

Sehr schlecht schnitten auch die S-Bahn-Rhein Neckar ab sowie die AVG (Albtal-Verkehrs-Gesellschaft), das kommunale Karlsruher Verkehrsunternehmen. Sie kamen auf Pünktlichkeitsraten von um die 91 Prozent.

Lieb wies allerdings darauf hin, dass ein Zug im Sinne der DB auch noch pünktlich ist, wenn er 5 Minuten und 59 Sekunden nach der fahrplanmäßigen Ankunft eintrifft. „Da haben aber schon viele Passagiere ihren Anschluss verpasst, weil die Umsteigezeiten in der Regel bei drei Minuten liegen.“

Der Primus unter allen Anbietern im Schienenpersonennahverkehr ist der Schweizer seehaas, der die Verbindung zwischen Konstanz, Singen und Engen bedient. Hier sind 99 Prozent aller Züge pünktlich. „Die Schweizer haben die Philosophie, dass das Zugsystem ablaufen muss wie ein Präzisionsuhrwerk“, schwärmte Lieb. Zudem fühle sich jeder Mitarbeiter für die Pünktlichkeit mit verantwortlich. „Da könnte sich die DB ein Stück von abschneiden.“ Allerdings landet auch die von der DB Regio mitbetriebene Nordschwarzwaldbahn mit einem eigenen Netz zwischen Tübingen, Horb und Pforzheim auf einem sehr guten Platz.

Die bisher verhängten Sanktionen für Verspätungen reichen nach Überzeugung Liebs nicht aus. Denn für Unpünktlichkeiten und Zugausfälle muss die Bahn nur an den Besteller, also das Land, zahlen. Diese sogenannte Pönale sei auch noch gedeckelt. „Über diesen Betrag hinaus bleiben Verspätungen finanziell folgenlos, und dem Fahrgast nutzt das überhaupt nichts“, betonte Lieb.

Deshalb müsse eine Regelung wie in Österreich greifen; dabei erhalten Dauerpendler eine Erstattung von zehn Prozent ihrer Kosten, wenn im Jahresschnitt weniger als 95 Prozent der von ihnen genutzten Züge unpünktlich sind. „Das schafft einen Anreiz für die Betreiber und ist ein kleiner Ausgleich für die Ärgernisse der Kunden.“

In einem weiteren Schritt müsse auch die Pünktlichkeit neu definiert werden. Auch da könne die Schweiz Vorbild sein: Im Nachbarland gilt ein Zug schon als verspätet, wenn er später als drei Minuten nach regulärer Ankunftszeit den Bahnhof erreicht. Zudem müssten die Pünktlichkeitswerte monatlich von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg oder vom Verkehrsministerium publiziert werden, forderte Lieb. „Ein öffentlicher Vergleich der Pünktlichkeit der Eisenbahnverkehrsunternehmen bringt den Wettbewerb voran.“

Seit Frühjahr 2012 führt Lieb den 28-köpfigen Fahrgastbeirat. Er setzt sich zur Hälfte aus Fahrgästen, zur Hälfte aus Verbandsvertretern - darunter Nutzergruppen wie Senioren, Eltern oder Radfahrer - zusammen.