Der größte Staatskonzern, die Deutsche Bahn, erwartet einen Milliardenverlust und plant radikale Einschnitte und Umbauten. Die Rotstiftpläne stoßen auf scharfen Protest.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Deutsche Bahn (DB) hat die bisher verkündeten Gewinnziele aufgegeben und erwartet nun stattdessen unterm Strich einen Rekordverlust von fast 1,3 Milliarden Euro. Das geht aus den Unterlagen für die Aufsichtsratssitzung am 16. Dezember hervor. Bei der Krisensitzung sollen die Kontrolleure radikalen Einschnitten und Umbauten zustimmen, mit denen Bahnchef Rüdiger Grube den schlingernden Staatskonzern wieder auf Kurs bringen will. Der Sanierungsplan wurde von einer 40-köpfigen Projektgruppe „Zukunft Bahn“ unter Beteiligung der US-Beratungsfirma McKinsey erstellt.

 

Zu den beabsichtigten Rotstiftaktionen gehört nach Informationen der Stuttgarter Zeitung auch die komplette Einstellung aller Nachtzüge. Weitere Investitionen seien „wirtschaftlich nicht tragfähig“ und die Ertragsprognose für die nächsten Jahre „stark negativ“, heißt es in einem internen DB-Schreiben, das in Branchenkreisen kursiert. Der gesamte Nachtzugverkehr soll demnach schon in einem Jahr zum Fahrplanwechsel 2016/17 eingestellt und durch nächtliche ICEs und IC-Busse ersetzt werden. Auch die letzten Autozüge sollen dann aufs Abstellgleis fahren.

Bei den Betriebsräten herrscht höchste Alarmstufe

Die Bahn will Zahlen und Rotstiftpläne nicht bestätigen und die Öffentlichkeit erst nach der Krisensitzung informieren. Man werde dem Aufsichtsrat ein „mehrjähriges Programm für mehr Qualität, mehr Kunden und mehr Erfolg vorlegen“, erklärte ein Sprecher. Auch die Bundesregierung, die mit drei Staatssekretären im 20-köpfigen Kontrollgremium vertreten ist, gibt sich zugeknöpft. Erst nach dem Treffen werde man die Lage kommentieren, heißt es im Haus von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Der Bund will aber dem Vernehmen nach nicht auf die Bahndividende von 850 Millionen Euro verzichten, die ohnehin als Zuschuss für die Modernisierung der bundeseigenen Schieneninfrastruktur wieder an den Konzern zurückfließt.

Bei Betriebsräten und Gewerkschaften, die zehn der 20 Kontrolleure stellen, herrscht seit Monaten höchste Alarmstufe. Die einflussreiche Eisenbahnverkehrsgewerkschaft (EVG) hat bereits eine rote Linie gezogen. Einen massiven Stellenabbau mit betriebsbedingten Kündigungen werde man nicht hinnehmen, erklärte mehrfach deren Vorsitzender Alexander Kirchner, der auch Vizechef des DB-Aufsichtsrats ist. Das gesamte System Bahn werde „vom Konzernvorstand in Frage gestellt“, hieß es schon vor Monaten in einem vertraulichen Papier aus Arbeitnehmerkreisen, das „viele Managementfehler in den letzten Jahren“ kritisierte. Die EVG hält zum Beispiel die beabsichtigte Schließung von DB-Instandhaltungswerken in strukturschwachen ostdeutschen Regionen wie in Eberswalde (Brandenburg) für den falschen Weg und macht dagegen mobil.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann warnt vor massiven Einschnitten im Güterverkehr

Wie berichtet könnten allein bei Europas größter Güterbahn DB Schenker Rail bis zu 5000 der noch knapp 31 000 Stellen wegfallen und deren Zentrale von Mainz nach Frankfurt verlagert werden. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung wird Schenker Rail laut den aktuellen Unterlagen für die Aufsichtsräte in diesem Jahr einen operativen Verlust von 180 Millionen Euro vor Steuern und Zinsen einfahren. Zudem will der Konzern nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ rund 1,3 Milliarden Euro an außerordentlichen Abschreibungen in der Gütersparte vornehmen, die lapidar mit „Neubewertungen“ begründet werden. Dahinter könnte sich ein Kahlschlag im Schienengüterverkehr verbergen, wird in Arbeitnehmerkreisen befürchtet. So könnten mehr als 500 der bundesweit noch 1500 Güterverkehrsstellen geschlossen und damit ganze Regionen und Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern komplett von der DB als wichtigstem Anbieter aufgegeben werden, heißt es. Es drohe die Schließung ganzer Standorte und die komplette Einstellung des Einzelwagenverkehrs.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann warnt vor massiven Einschnitten in die Güterverkehrssparte. „Wir brauchen dringend mehr und nicht weniger Güterverkehr auf der Schiene, um das überlastete Straßennetz sowie die Umwelt und das Klima zu entlasten.“ Es sei laut Hermann die Aufgabe des Staatskonzerns, der Wirtschaft konkurrenzfähige Angebote für einen Transport auf der Schiene zu machen, „anstatt jährlich eine Rendite von rund 850 Millionen Euro an den Bund als hundertprozentigen Eigner der DB abzuliefern“.

Die überraschenden Milliardenabschreibungen im Güterverkehr sowie angebliche Kosten der Restrukturierung des Konzerns von rund 700 Millionen Euro führen dazu, dass unterm Strich nun für 2015 ein Riesenverlust von knapp 1,3 Milliarden Euro stehen soll. Vor Steuern und Zinsen allerdings fährt dem FAZ-Bericht zufolge die Bahn aber immer noch ein deutlich positives operatives Ergebnis von fast 1,8 Milliarden Euro ein bei einem geplanten Gesamtumsatz von knapp 41 Milliarden Euro. Bei der Vorlage des Halbjahresberichts im Juli hatte Finanzchef Richard Lutz noch rund zwei Milliarden Euro Vorsteuergewinn erwartet. Unterm Strich sank der Bahngewinn schon in den ersten sechs Monaten um 39 Prozent auf nur noch 391 Millionen Euro.