Die ehemalige Stuttgarter Primaballerina Birgit Keil leitet seit zehn Jahren erfolgreich die Karlsruher Kompanie. Jungen Choreografen traut sie viel zu – und beweist damit Mut und Risikobereitschaft.

Karlsruhe - Birgit Keil kann stolz sein auf das Erreichte: Sie leitet jetzt im zehnten Jahr die Ballettsparte am Badischen Staatstheater . Nach jüngstem Beschluss darf diese sich jetzt sogar „Staatsballett“ nennen. Und ihre Kompanie steht glänzend da. Das Repertoire ist vielseitig, umfasst ein breites Spektrum der Stile. Die dreißig Mitglieder des Ensembles tanzen auf hohem Niveau. Die Kritik, auch die überregionale, begleitet den von der Ballettdirektorin und ihrem Stellvertreter Vladimir Klos so bezeichneten „Karlsruher Weg“ interessiert und wohlwollend. Der Applaus nach den Vorstellungen und die Auslastung – im vergangenen Jahr nach Zahlen des Theaters 100 Prozent – sprechen für die große Ballettbegeisterung des Karlsruher Publikums.

 

„Staatsballett“, das ist zwar lediglich ein Titel, zeugt jedoch von der Wertschätzung, welche die Tanzsparte beim Generalintendanten Peter Spuhler genießt. Das zeigt sich auch an der Vertragsverlängerung für die Ballettleitung: Birgit Keil und Vladimir Klos, die sich als Führungsteam begreifen, haben sich kürzlich bis zum Sommer 2016 verpflichtet. Sie finde es vor allem erstaunlich, wie viele und wie verschiedenartige Stücke das Ballett in diesem Zeitraum herausgebracht habe, sagt die Ballettdirektorin über ihre Karlsruher Jahre. „Besonders freut mich, dass wir so bedeutende Werke wie „Giselle“ und „Coppélia“ von Peter Wright, „Romeo und Julia“ von Kenneth MacMillan, Ashtons „La Fille mal gardée“ und Wheeldons „Schwanensee“ zeigen können.“ Der einstigen Primaballerina kommen dabei ihre engen Kontakte innerhalb der Tanzwelt zu Gute. Choreografenstars wie Hans van Manen oder William Forsythe vergeben ihre Stücke gerne nach Karlsruhe zur Aufführung, weil sie Birgit Keil aus der gemeinsamen Zusammenarbeit am Stuttgarter Ballett kennen.

Aber Keils Kompanie hat außer Bedeutendem und Bewährten aus dem Ballettkanon, wie etwa Balanchine oder Petipa, auch eine beachtliche Zahl an Uraufführungen zu bieten. Knapp zwanzig Novitäten sind bisher eigens für das Karlsruher Ensemble entstanden, darunter auch vier abendfüllende Handlungsballette. Während bei „Carmen“ (Ray Barra) und „Siegfried“ (Peter Breuer) etablierte Tanzschöpfer am Werk waren, hat die Ballettdirektorin die beiden anderen erzählerischen Novitäten in die Hände junger Choreografen gegeben. Als sie 2006 das damalige Karlsruher Ensemblemitglied Terence Kohler gleich dessen Idee für das Handlungsballett „Anna Karenina“ in die Tat umsetzen ließ, hat sie Mut und Risikobereitschaft bewiesen. Für Birgit Keil ist das eine Frage des Vertrauens, nicht von Mut: „Ich glaube an die Menschen, denen ich Aufgaben anvertraue.“

Gespür für Talente

Dieses Vertrauen wurde bisher belohnt, Keil und Klos haben offensichtlich ein Gespür für Talente. Kohlers für einen so jungen Choreografen fast ein bisschen altmeisterlich geratene, aber handwerklich, ästhetisch und von der Figurenzeichnung her sehr gelungene Tolstoi-Adaption war ein Erfolg. Der heute 28-Jährige hat noch einige weitere Arbeiten in Karlsruhe gemacht, ließ sich auf die Dauer aber nicht halten und ist inzwischen unter anderem als Choreographer in Residence beim Bayerischen Staatsballett tätig.

Ein anderes von Keil gefördertes Choreografentalent, das früh eine größere Aufgabe bekam, ist Tim Plegge. Dessen wunderbare, eigenwillige Umsetzung des Kinder- und Jugendromans „Momo“ (uraufgeführt 2012) bringt eine erfrischend originelle und andere Note in die im Großen und Ganzen doch an der klassischen Linie und Eleganz orientierte Auffassung und die tendenziell eher traditionellen Erzählweisen der Stücke im Karlsruher Repertoire, für die als Beispiel Christopher Wheeldons hochästhetische, aber auch nicht aufregend neue Sichtweise auf „Schwanensee“ genannt sei.

Die Tanztradition setzt den Maßstab

Birgit Keil wehrt sich allerdings dagegen, auf das klassische Ballett als Schwerpunkt ihres Spielplankonzepts festgelegt zu werden. „Es ist ein großes, wunderschönes Repertoire mit bedeutenden Werken, aber eben auch – und das ist für die Entwicklung des Ensembles besonders wichtig – neuen Kreationen“, sagt sie. Was jedoch das Niveau des Ensembles angeht, da setzt für Keil die Ballett-Tradition die Maßstäbe: „Die klassischen Werke entscheiden über die Qualität einer Kompanie, daran kann sie sich messen und ist mit anderen Ensembles vergleichbar, was bei neuen Kreationen nicht der Fall ist.“

Dass die tänzerische Leistung der ehemaligen Ballerina wichtig ist, merkt man der Karlsruher Kompanie an. Das zu Beginn von Keils Ballettdirektion zu einem großen Teil aus aufstrebenden Nachwuchstalenten zusammengesetzte, damals bereits ausgezeichnete Ensemble hat sein Niveau noch gesteigert. Trotz einiger Wechsel ist die Kontinuität im Ensemble groß. Genauso jedoch bekommt der Nachwuchs eine Chance, sei es bei Rollenbesetzungen oder im Ballettstudio des Badischen Staatstheaters, wo die Tanzstudenten Bühnenpraxis sammeln können.

„Die Förderung junger Nachwuchstalente liegt mir sehr am Herzen“, sagt die Ballettchefin. Schließlich ist sie auch Pädagogin, leitet seit nunmehr fünfzehn Jahren die Akademie des Tanzes Mannheim und hat außerdem ihre private Tanzstiftung ins Leben gerufen. Davon profitiert auch die Karlsruher Kompanie. Mehr als die Hälfte des Ensembles wurde in Mannheim ausgebildet. Und ist einmal rollenreiches Stück wie etwa „Giselle“ nicht allein mit Ensemblemitgliedern zu besetzen, dann kommen eben die Studierenden im Corps de ballet zum Einsatz. So ist es der verhältnismäßig kleinen Kompanie möglich, auch groß besetzte Werke zu zeigen. Dass die eine oder andere Wunschproduktion dennoch nicht realisiert werden kann, liegt an der Finanzierung. „Es ist oft eine Kostenfrage, wir sind kein Haus, das mit einem sehr großen Etat arbeiten kann, aber das sollte nicht die Qualität schmälern“, findet die Direktorin.

Ein Kind der Cranko-Schule

Betrachtet man die Breite des Karlsruher Repertoires sowie manchen Choreografennamen, dann liegt natürlich der Gedanke an das Stuttgarter Ballett nah. Birgit Keil betont selbst, wie sehr ihre Zeit als Tänzerin dort sie geprägt hat: „Ich bin ein Kind der Stuttgarter Schule von John Cranko, was ich dort erlebt und an Förderung und Zuwendung erfahren habe, das habe ich als mein Kapital mitgenommen. Das fließt in meine Arbeit und in meine Einstellung zum Tanz ein.“ Auch in Bezug auf ihre konzeptionelle Basis kommt das zum Tragen: „Die Vielseitigkeit in der Gestaltung, die uns in Stuttgart ermöglicht wurde, ist heute noch wegweisend.“

Vergleiche ihrer Kompanie mit dem Stuttgarter Ballett weist Keil jedoch entschieden zurück. Dafür habe man gar nicht die entsprechenden Mittel und die Tradition. In der Tat hat das Karlsruher Ballett trotz mancher Parallelen zu Stuttgart seine eigene programmatische Linie. So zeigt man beispielsweise statt Crankos „Romeo und Julia“ die Version von Kenneth MacMillan. Die Liste der in Karlsruhe tätigen Choreografen umfasst jede Menge Tanzschöpfer, die man nicht aus Stuttgart kennt. Der „Karlsruher Weg“ ist eben mehr als ein Name, sondern manifestiert sich im unverwechselbaren Profil der Kompanie.