20 Jahre Intendanz von Reid Anderson und 10 Jahre Ballett Park hat die John Cranko Schule mit einer großen Gala und internationalen Gästen gefeiert.

Stuttgart - Ganz eng beieinander, sich gegenseitig schützend und die Köpfe zwischen den Schultern, trippeln die Wesen in blaugrünen Gewändern aus der Tiefe der Opernhausbühne. Eine unsichtbare Energie lässt sie wogen und wiegen, in- und umeinander, schließlich ranken, einem Spross ähnlich, in einen Kreis, wo sie nacheinander beherzt die Kutten aufreißen. Ans Licht kommen Blumenborten auf hautfarbigen Ballettanzügen, Symbole des Frühjahrs – Natur zum Leben erweckt.

 

Mit ausdruckstarken Bildern steigen die Choreografin Katarzyna Kozielska und der Kostümbildner Thomas Lempertz in den „Frühling“ ein, dem ersten Satz von Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Die Uraufführung eröffnet die Gala der John-Cranko-Schule mit Gästen der Ballettschulen aus Paris, London, Toronto und Hamburg. Die Stuttgarter Nachwuchsschmiede hat neben Katarzyna Kozielska Louis Stiens, Fabio Adorisio sowie den Hauschoreograf Demis Volpi als künstlerischen Leiter beauftragt. Und während Kozielska, ganz überbordender Frühling, Schüler aller Klassen von eins bis sechs und Akademie A wie B in Soli, Duette und Gruppenszenen schickt, kommen bei ihren Kollegen die mittleren und höheren Klassen zum Zug.

Zitternde Muskeln

Wunderbar reduziert und zeitgenössisch etwa geht Louis Stiens den Sommer und sein musikalisches Gewitter an. Schlicht in Pumphosen kämpfen acht junge Männer und ein Mädchen gegen die Hitze, bauen Spannung auf in Duetten ohne Schnörkel mit klaren Linien, ein Körper scheint die Bewegung des anderen anzustoßen. Bei Fabio Adorisios Herbst indes münden parallele Duette und allerlei Gruppenkonstellationen in einem raffinierten roboterartigen Abgang, während der Winter einzieht. Hier setzt Demis Volpi auf ein einziges, weiß gekleidetes Paar. Der Dramatik des vierten Vivaldi-Satzes entgegnet er mit bedachten Metaphern: Eun-Sil Kim und Nikita Korneev, Studierende der Akademie A, trotzen mit komplexen Hebungen, die wie eine Hommage an Cranko scheinen, dem wilden Furor der Solovioline.

Diese spielt in der ersten Hälfte Elena Graf, dirigiert von James Tuggle. In der zweiten führt Jewgeni Schuk den Bogen, nun geleitet von Wolfgang Heinz. Dieser Wechsel fällt manchem spätestens auf, als Schuk das Instrument vor dem Winter noch einmal stimmt. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer ficht das indes nicht an, ganz angehende Profis machen sie die Uraufführung zu einer runden Sache.

Dass die Fünftklässler und Akademiestudierenden mit den technischen Herausforderungen einer Marco-Goecke-Choreografie umgehen können, bewiesen sie bereits im Mai, als dessen Stück „A spell on you“ Premiere hatte. Auch auf der Gala überzeugen sie wieder in der feinnervigen Komposition des Hauschoreografen. Wie sie die Muskeln zittern lassen, rasant, messer- und haarscharf die Arme bewegen, dennoch emotional in Nina Simones Musik eintauchen, das geht unter die Haut.

Mitunter selbst mitzittern müssen die Zuschauer bei den Gästen der École de Danse de l’Opéra national de Paris: Rudolf Nurejews klassischer Pas de Deux aus dem dritten Akt von „Dornröschen“ nach Marius Petipa beinhaltet komplexe Hebefiguren. Glasklar präsentieren wiederum die Schüler der Royal Ballet School ihr Pas de Deux aus dem „Concerto“ von Kenneth McMillan. Der Brite war eng mit der Stuttgarter Kompanie verbunden.

Humorvoll, träumerisch und intensiv

So tadellos wie charmant und gefühlvoll geben auch die kanadischen Tanzstudenten Daina Zoltry und Siphe November ihr Duett zu George Gershwins „I love you, Porgy“, das Demis Volpi 2014 für Canada’s National Ballet School kreierte. Und schließlich reißen die Ausschnitte aus John Neumeiers Choreografie „Yondering“ mit. Humorvoll, träumerisch und intensiv spüren sieben Schülerinnen und Schüler sich tief beugend, unbändig springend und slapstickartig stürzend den Liedern von Stephen C. Forster nach – einer der bekanntesten Songwriter der USA zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Ideale Überleitung zum großen Finale: Tadeusz Matacz, der Leiter der John-Cranko-Schule, und Barbara Matacz bringen nochmals die Vorschule drei und vier, die Klassen eins bis sechs sowie beide Akademien auf die Bühne mit gekürzten Ausschnitten ihrer „Etüden“. Wie Klein und Groß in enormen Gruppenszenen zeigen, was sie im Unterricht lernen, von elementarem Hacke-Spitze über Attitüden und Turns bis zu hohen Dreh- und Spagatsprüngen, das hätte Schulgründer Cranko stolz gemacht. Sein Ansinnen, eigenen Nachwuchs für die Kompanie zu formen, ist längst geglückt.