Auftakt bildete der dynamische dritte Akt von „Tracing Isadora“, das vom Tanzfonds Kulturerbe der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde. Dominique Dumais folgt darin den Spuren der Begründerin des modernen Tanzes, der US-Amerikanerin Isadora Duncan. Auch in Württemberg gab es in den zwanziger Jahren eine lebendige Szene des Ausdruckstanzes, in den fünfziger Jahren arbeitete die Ausdruckstänzerin Mary Wigman in Mannheim. Duncan entwickelte ein neues natürliches Körperempfinden und Bewegungsrepertoire – Befreiung von allem Rigiden, der bare Fuß statt Spitzenschuh, wallende Gewänder oder Nacktheit statt Korsage. Dumais bedient sich Duncans Sprache, aber ohne diese zu kopieren oder gar narrativ zu werden. Lyrische Pas de deux oder Pas de trois wechseln mit ausdruckstarken, minimalistischen Gruppenszenen, die Tänzer wiegen und biegen sich, werden zu Licht, Wind, Wellen – Tanz um des Tanzens willen!

 

Die Begriffe des Begegnens und sich Entfremdens ziehen sich durch Kevin O’Days konzentrierten Pas de deux „We will . . .“, das er zu Georg Friedrich Händels emotionsgeladenem „Lascia ch’io pianga“ aus der Oper „Rinaldo“ schuf. Wie das Paar es miteinander versucht, sich anzieht und abstößt und immer wieder um einen Neuanfang bittet „Can we start again?“, hinterfragt mehr als deren Beziehung: den Status quo des Tanzes.

Leonard Cohen brummelt „Dance me to the end of love“

Auch in Dumais’ „Chansons“ geht es um Beziehungen. Mitreißend, wie das Ensemble von den Logen und Seiteneingängen auf die Bühne stürmt, Stühle positioniert, um sich einer Art Tanztee zu Jeff Becks „Halleluja“ oder Isabelle Boulays Version von Brels ikonenhaftem Song „Amsterdam“ hinzugeben. Ob ein Mann im Paillettenkleid und High Heels seine Muskeln spielen lässt, Paare sich einen handfesten Tanzstreit liefern oder die dreizehn Männer und Frauen einander Hüte und Klamotten zuspielen, bis zum letzten Takt geht dies unter die Haut. Genial das Ende: Leonard Cohen brummelt „Dance me to the end of love“, die Tänzer starren lange bewegungslos in Tableau-Manier auf das Publikum, bevor sie von der Bühne gehen.

Was macht Kevin O’Day nach seinem Weggang? „Ich habe mein freies Netzwerk aktiviert“, so der Mann, der beim New York City Ballet und in Mikhail Baryshnikovs White Oak Dance Project tanzte. „Hier war mein Anliegen die Tanzszene nach vorne, freie Kunstschaffende und Stadttheater zusammenzubringen – und vor allem mit dem Publikum in Verbindung zu treten.“ Das wird ihn vermissen, wie am Premierenabend geäußert wurde. Ein Trost: „Farewell!“ ist noch bis zum 26. Juni zu sehen, am 29. April wird Dominique Dumais ihre letzte Premiere zeigen: „Naked“ – und es folgt eine Choreografische Werkstatt.