Misty Copeland ist die erste afroamerikanische Primaballerina des American Ballet Theatre. In der konservativen Ballettwelt kommt das einer Sensation gleich.

New York - Die Szenen, die sich vergangenes Wochenende an der New Yorker Metropolitan Opera abspielten, hätten besser zu einem Rockkonzert gepasst als zu einer klassischen Ballettbühne. Minutenlang tosten nach der Aufführung von „Schwanensee“ die Jubelrufe durch den Hauptsaal des Lincoln Center an der 66. Straße. Handys blitzten unaufhörlich, um Misty Copeland, den Star des Abends, festzuhalten. Blumen flogen haufenweise, und als Copeland später aus dem Künstlerausgang auf die Straße trat, wurde sie von einer Horde von Autogrammjägern empfangen.

 

So ergeht es Copeland schon lange, wenn sie tanzt – gleich, ob das in New York, Los Angeles oder London ist. Doch in dieser Woche war der Hype um die 31 Jahre alte Ballerina aus Kalifornien besonders groß. Der Liebling des New Yorker Ballettpublikums wurde am Dienstag vom Direktor des renommierten American Ballet Theatre, Kevin McKenzie, zur Primaballerina gekürt – als erste schwarze Frau überhaupt.

Primaballerinas sind traditionell weiß und elfenhaft

Im sechsten Jahr der Obama-Präsidentschaft mag das nicht nach einem großen Durchbruch für die Gleichberechtigung von Afroamerikanern klingen. In der Ballettwelt aber ist der Aufstieg einer schwarzen Frau in die höchsten Ränge der Tanzkunst noch immer eine Sensation. „Was Misty in der Tanzwelt repräsentiert, ist in seiner Bedeutung nicht zu überschätzen“, sagt die Balletthistorikerin Jennifer Homans. Das klassische Bild einer Primaballerina, so Homans, sei ein zartes, weißes, elfenhaftes Wesen. Schwarze Tänzerinnen kämpfen gegen dieses Klischee bis heute oft vergeblich an. Während schwarze Männer als Vortänzer schon seit Jahrzehnten keine Ausnahme mehr sind, tun sich schwarze Frauen in der Branche noch immer schwer. Kaum eine Truppe heuert schwarze Frauen für führende Rollen an.

Auch Misty Copeland hatte während ihrer gesamten Laufbahn mit den Stereotypen des Geschäfts zu kämpfen. „Ich habe mich oft im Spiegel angeschaut und an mir gezweifelt“, gestand sie jüngst in einem Fernsehinterview. „Ich konnte nicht glauben, dass ich wirklich eine Ballerina bin.“

Sie überwand auch soziale Hürden

Doch Copeland durchbricht nicht nur das traditionelle Bild dessen, wie eine Balletttänzerin zu sein hat und wie nicht. Sie hat auch die sozialen Hürden überwunden, die bis heute oft afroamerikanische Frauen aus dem Tanzgewerbe ausschließen.

Copeland ist in Verhältnissen aufgewachsen, die für eine Tanzkarriere ungünstiger nicht hätten sein können. Ihre Mutter zog alleine vier Kinder groß. Die Familie lebte, wie noch immer ein überproportionaler Anteil afroamerikanischer Familien, in Armut. Zum Ballett kam Copeland, weil eine Betreuerin in einer Tagesstätte ihr Bewegungstalent entdeckte und ihr Tanzstunden empfahl. Damit begann Copelands lebenslange Leidenschaft. Sie begann, in jeder freien Minute zu üben, und machte so rasche Fortschritte, dass ihre Trainer aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kamen.

Prozess gegen die Mutter

Als im Alter von 15 Jahren dann die Entscheidung anstand, sich ernsthaft auf die Ballettkarriere einzulassen oder nicht, durchlief Misty Copeland allerdings eine schwere Krise. Ihre Mutter wollte sie nicht von zu Hause weggehen lassen – das Zuhause bestand damals aus einem voll gestopften Motelzimmer. Copeland musste gegen ihre eigene Mutter vor Gericht ziehen, um ein Ballettinternat besuchen zu dürfen. Nur kurze Zeit später schaffte sie es in das Nachwuchsprogramm des American Ballet Theatre und stieg dort im Nu auf in die Ränge der regulären Kompanie. Gleichzeitig entwickelte sie in New York eine rasch wachsende Fan-Gemeinde. Nationale Aufmerksamkeit erregte sie allerdings erst, als sie die Grenzen des Ballettgenres überschritt. Copeland tanzte für einen Unterwäsche-Werbespot und ging mit dem Pop-Star Prince auf Tournee. Seitdem ist die Ballerina selbst ein Pop-Star.

In der konservativen Ballettwelt hätte das für sie ein Problem werden können. Doch das American Ballet Theatre erkannte, wie viel positive Publicity Copeland der Truppe bringt – und hielt zu ihr. Jetzt adelte die Kompanie sie sogar mit der Beförderung zur Vortänzerin. Ein mutiger Schritt in diesem Gewerbe.

Misty Copelands Durchbruch ist jedoch nicht nur für das Ballett ein symbolischer Sieg in Amerika. Afroamerikanische Frauen haben es generell in der Arbeitswelt in den USA noch immer schwer. Schwarze Frauen in Führungspositionen sind eine Rarität. Ihr Einkommen liegt bei nur 64 Prozent des nationalen Durchschnitts. Neben vielen anderen Prominenten hat deshalb auch Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Misty Copeland gratuliert. „Ich habe gerade Mistys Bild an meine Pinnwand mit Frauen gehängt, die mich inspirieren“, ließ sie per Twitter wissen.