Es war der Höhepunkt des Bandekriegs zwischen türkischem Boxclub Osmamen Germania und kurdischer Bahoz: Am 6. Januar schossen zwei Aktivisten aufeinander. Der Prozess erhellt Hintergründe des Konflikts.

Bietigheim-Bissingen - High Noon in Bietigheim: Unweit des malerischen Viadukts kommt es in der Nacht des 6. Januar 2017 zu einem Schusswechsel auf offener Straße. Schwarz gekleidete Aktivisten schießen auf der Schwarzwaldstraße in der Nähe eines Kindergartens und eines Altenheims aufeinander, zum Glück ohne zu treffen. Es ist der Höhepunkt des Bandenkrieges in der Region zwischen dem nationaltürkischen Boxclub Osmanen Germania und dem kurdischen Netzwerk Bahoz, der seit Frühjahr 2016 blutig ausgetragen wird.

 

Dass der Fall vor dem Heilbronner Landgericht in aller Ausführlichkeit verhandelt wird, ist vor allem der Aussage eines führenden Mitglieds der „Osmanen“ zu verdanken: Der 24-Jährige Mehmet K. (alle Namen geändert), bricht mit dem sonst in der Szene üblichen Schweigegelübde und nennt die mutmaßlichen Täter, zwei 21 und 25 Jahre alte Kurden aus Bietigheim. Dass er selbst laut Zeugen eine Waffe in der Hand gehabt und zurückgeschossee haben soll, zeigt die besondere Brisanz seiner Aussage. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch, viele Polizisten sichern den Saal und das Gebäude, es gibt Personenkontrollen. Während der Mittagspause kommt es auf der Straße zu einer Rangelei zwischen den beiden Gruppen.

Osmamen-Anführer: Ich werde bald tot sein

Der 24-jährige, muskelbepackte Mehmet K. sagt trotzdem aus. Er trägt eine schwere Metallkette um den Hals, hat überall Tätowierungen, der Kopf ist an den Seiten kahlrasiert. Normalerweise läuft er immer mit einer 40 Zentimeter langen Pfefferspray-Flasche unter der Jacke herum, wie er freimütig bekennt – nur für den Auftritt vor Gericht hat er eine Ausnahme gemacht. „Ich werde ständig bedroht, irgendwann werde ich tot sein“, sagt er , „doch bis dahin wird noch einiges passieren.“

Offen erzählt er von dem Machtkampf zwischen den beiden Gruppen – und liefert zum ersten Mal eine Erklärung, warum ausgerechnet Ludwigsburg im Mittelpunkt steht: „Die Kurden haben die Region Stuttgart zu ihrem Gebiet erklärt und Ludwigsburg zu ihrer Hauptstadt.“

Denn in der Barockstadt wohnen nicht nur viele kurdische Aktivisten, es existiere laut der Aussage des Osmanen-Anführers eine Gruppe von 20 bis 30 Anhängern des inzwischen offiziell aufgelösten Netzwerks Bahoz. Es ging um Gebietsansprüche. „Drohungen kamen indirekt bei mir an“, berichtet Mehmet K. Seine Freunde hätten Botschaften bekommen wie „Häng nicht mit Mehmet herum, sei nicht dabei, wenn wir es zu Ende bringen. Ihr wollt nicht, dass eure Mütter um dich weinen müssen.“

Mehmet K: Ich konnte ihn nur umbringen oder zur Polizei

Nach einer Messerstecherei beim Ludwigsburger Krankenhaus im April 2016 und einer Schlägerei mit mehr als 30 Teilnehmern im November folgen die Schüsse in Bietigheim im Januar. Der Prozess enthüllt nun die Hintergründe der Tat. Der 24-jährige Mehmet K. geriet immer wieder mit den 21 und 25 Jahre alten Kurden in Ludwigsburg aneinander.

„Sie haben sogar meine Familie bedroht“, erzählt der Osmanen-Aktivist, „sie wollten mich töten. Ich hatte am Ende nur die Wahl, ihn umzubringen oder zur Polizei zu gehen.“ Am Abend des 6. Januar saß der 24-Jährige mit zwei Freunden, die nicht dem Osmanen-Club angehörten, gegen 23 Uhr in der Sisha-Bar Cantina an der Schwarzwaldstraße. Sie wollten etwas essen, Wasserpfeife rauchen, abhängen. Plötzlich wurde einer nervös, fast panisch, wie Mehmet K. berichtet: Er habe einen Freund oder Verwandten der beiden Kurden an der Kasse gesehen. Sicherheitshalber wollten sie nach Hause und rauchten bei den Autos noch eine Zigarette.

Racheaktion in der Nacht scheitert

Plötzlich sollen laut ihren Aussagen drei kurdische Bahoz-Leute aufgetaucht sein. Mehmet K. berichtet, er sei auf sie zugelaufen und habe gerufen: „Lauft weiter, lauft weiter!“ Plötzlich soll der vordere Kontrahent eine Waffe gezogen, geschossen und dabei laut „Verrecke!“ gerufen haben. Zeugen berichten, dass es zu einem Schusswechsel gekommen sei, beide Gruppen flohen dann vom Tatort. Noch rief Mehmet K. aber nicht die Polizei – sondern trommelte „gute, enge Freunde“ zusammen, wie er berichtet – also andere Mitglieder des türkischen Boxclubs. „Wir haben die beiden überall in Bietigheim gesucht und wollten sie zusammenbrettern“, sagt er offen.

Da diese aber nicht aufzufinden waren, ging er zurück zum Tatort und rief um 1.59 Uhr die Polizei. Zunächst verriet der 24-Jährige nicht die Namen der beiden Kurden, später schrieb er aber eine E-Mail mit genauen Angaben. Warum er aussagt? Mehmet K. bekennt es unverblümt: „Es ging um nichts, nicht um Frauen, nicht um Ehre, nicht um Macht. Nur um Präsenz. Deswegen mit scharfen Waffen zu schießen, das geht nicht.“ Überhaupt – seit dem Schusswechsel sei er „psychisch durch“. Offenbar hat ein Umdenken eingesetzt.

Ob es allerdings wirkt, daran hat er selbst Zweifel. Mehmet K. sagt: „Morgen wird es Krieg geben, weil ich hier aussage.“