Wenn es um reale Verbrechen geht, überschreitet Killer & Co. gern mal die Genregrenzen. „Kindheit in Trümmern“ ist so ein Fall. 21 Zeitzeugen erzählen, was ihnen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren widerfuhr.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Bücher, in denen die letzten Zeitzeugen einer bestimmten Epoche zu Wort kommen, haben aus naheliegenden Gründen immer wieder Konjunktur. Viele Veröffentlichungen gründen auf dem Motto „bevor es zu spät ist“. So auch Barbara Warnings doppelsinnig betitelte „Kindheit in Trümmern“. 21 alte Menschen werden darin vorgestellt, deren erste Lebensjahre von Krieg, Holocaust, Vertreibung, Gewalt und Hunger geprägt wurden. Laut Ravensburger ist der Band für Jugendliche ab 13 gedacht, doch er ist auch für Erwachsene unbedingt lesenswert.

 

So unterschiedlich die familiären, religiösen und sozialen Umstände im Einzellfall waren, so deutlich ist die Gemeinsamkeit: alle diese Kinder waren Opfer eines verbrecherischen Krieges. Sie alle kannten Angst, Brutalität, Kälte und Unterernährung. Barbara Warning hat mit jüdischen KZ-Insassen gesprochen, mit dem Sohn eines Wehrmachtsgenerals, mit Vertriebenen und Waisen. Diese enorme Bandbreite macht eine der Qualitäten des Buches aus. Ganz besonders bemerkenswert ist es aber, weil es dank der historischen und der akuellen Fotos mehr oder weniger abstrakten geschichtlichen Ereignissen ein Gesicht gibt.

Sehr eindrücklich etwa im Kapitel, das der früheren Kirchentagspräsidentin Eleonore von Rotenhan gewidmet ist: der Wechsel im Gesichtsausdruck des Mädchens vor und nach der Vertreibung spricht Bände (siehe Foto). Dabei hatte es die gebürtige Schlesierin noch vergleichsweise glimpflich erwischt.

Teresa Stiland etwa hat das Grauen von Auschwitz miterlebt, Janusz Kahl musste als Zwangsarbeiter im KZ schuften und Ursula Heller schlug sich mit ihren Geschwistern als sogenannte Wolfskinder durch. Bei aller Tragik gibt es aber auch menschliche, allzumenschliche, wenn nicht sogar komische Momente in dem Buch. So im Bericht des 1930 im Böhmen geborenen Apothekersohnes Karl Heinz Ritschel. Als die russischen Soldaten die väterliche Pharmazie plünderten, „tranken sie alles, was flüssig war. Darunter auch viele Abführmittel“.

Angereichert wird der Band mit einer Zeittabelle für den geschichtlichen Überblick und mit Stichwörtern, die Fachbegriffe erläutern. Doch nicht nur die rückwärts gewandte Betrachtung ist Barbara Warning wichtig. Es geht ihr auch um den Bezug zur Gegenwart, um die Opfer von Gewalt und Vertreibung in unseren Tagen. Noch ein Pluspunkt für dieses Buch.

Barbara Warning: „Kindheit in Trümmern“. Ravensburger Verlag, Ravensburg 2015. 192 Seiten, gebunden, 19,99 Euro.