In der Endspielserie der nordamerikanischen Baseball-Profiliga MLB treffen die Chicago Cubs auf die Cleveland Indians. Die einen warten bereits seit 1908 auf einen Meistertitel, die anderen seit 1948. Eine lange Durststrecke wird also zu Ende gehen.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - David Weselcouch ist Anfang 60 und ein gutes Beispiel für einen Baseball-Liebhaber mit Herz und Seele, der dem Nebensitzer im Stadion alles über seine Sportart erzählen kann. Der Vorruheständler aus Fairfield im US-Bundesstaat Connecticut verpasst seit Jahrzehnten kein Spiel der Boston Red Sox und nennt sich selbst „den größten Red-Sox-Fan in ganz Connecticut“. Nun ist seine Lieblingsmannschaft zwar schon in der ersten Runde der diesjährigen Play-offs ausgeschieden, doch die Finalserie der Major League Baseball (MLB) schaut er sich dennoch mit noch größerem Interesse an als sonst in so einem Fall – und das nicht, weil seine Tochter mittlerweile für die MLB arbeitet.

 

In der sogenannten World Series (Modus: Best of seven) treffen seit der Nacht von Dienstag auf Mittwoch deutscher Zeit die Cleveland Indians und die Chicago Cubs aufeinander. Die einen hat der ehemalige Red-Sox-Trainer Terry Francona an die Spitze geführt, die anderen hat der ehemalige Red-Sox-Manager Theo Epstein als Chefstratege aus der Versenkung geholt; zusammen hatten sie 2004 und 2007 den Titel gewonnen (und bei erst Gelegenheit eine 86 Jahre lange Durststrecke ihres Ex-Clubs beendet). Einer wie David Weselcouch kann sogar bei beiden Finalisten aus dem Stand jeweils fünf weitere Spieler und Trainer mit Vergangenheit in Boston aufzählen. „Die Verbindung der Red Sox zu dieser World Series ist gewaltig. Ich bin für die Indians, aber denke, dass die Cubs der leichte Favorit sind“, sagt der Experte. „Egal, welches Team gewinnt, wird es aber eine großartige Geschichte sein.“

Die Chicago Cubs und der Fluch der Ziege

Denn die Cleveland Indians warten schon seit 1948 auf einen Meistertitel – und die Chicago Cubs sogar seit 1908! So oder so wird die Märchenliga MLB ihrer Geschichte vom atemberaubenden Aufstieg eines darniederliegenden Clubs, dessen Anhänger sehnsuchtsvoll bessere Zeiten herbeisehnen, ein weiteres Kapitel hinzufügen können. 2015 erst sicherten sich die Kansas City Royals den Titel, die 2014 erstmals seit ihrer Meisterschaft 1985 wieder die Play-offs erreicht und sich dann ein Jahr nach der Vizemeisterschaft gekrönt hatten.

Die diesjährigen Finalisten dürsten noch viel länger nach dem ganz großen Wurf. Es gibt keine Mannschaft in den vier großen US-Sportligen NFL (American Football), NBA (Basketball), NHL (Eishockey) und MLB, die noch länger auf eine Meisterschaft wartet als die Chicago Cubs. Und das alles wegen einer Ziege! So will es zumindest die Legende. 1945 kam das Team bei seiner letzten Finalteilnahme mit einer 2:1-Führung aus Detroit ins heimische Wrigley Field. Dem Geißbock des eingefleischten Cubs-Fans William Sianis wurde wegen seines üblen Geruchs der Eintritt verwehrt, woraufhin der Gastwirt den Club mit einem Fluch belegte: „Die Cubs werden nie wieder die World Series gewinnen, so lange die Ziege nicht ins Wrigley Field gelassen wird.“ Der Traditionsverein verlor seinerzeit die Serie noch mit 3:4, schaffte es erst heuer erstmals wieder ins Endspiel und greift nach seiner dritten Meisterschaft seit 1907 und 1908, als der Spitzenwerfer Mordecai „Three Finger“ Brown mit seinen Mitspielern triumphierte.

Edelfan und Schauspieler Bill Murray kommen im Stadion die Tränen

„Lovable losers“ werden die Cubs wegen ihrer Historie auch genannt, liebenswerte Verlierer. In dieser Saison war die Mannschaft mit den schlagstarken Jungstars Kris Bryant und Anthony Rizzo sowie den vielen versierten Werfern wie Jon Lester (ehemals Boston Red Sox) in der Hauptrunde jedoch mit 103 Siegen bei 58 Niederlagen das erfolgreichste Team und marschierte auch eisern bis in die Endspielserie, was den Edelfan und Schauspieler Bill Murray im Stadion zu Tränen rührte. „Folter und Lächerlichkeit haben nach 71 Jahren ein Ende“, schrieb „Sports Illustrated“ zum ersten Finaleinzug seit 1945 und nannte Chicagos Titeljagd „die letzte große Geschichte des amerikanischen Sports“.

Im Finale stehen die Cubs den Indianern aus Cleveland gegenüber, die es also nicht nur im Film (mit Charlie Sheen) gibt. Die Mannschaft ohne Spieler mit große Namen, die der Trainer Terry Francona innerhalb von drei Jahren zu einem widerstandfähigen Team geformt hat, gefällt sich in der Außenseiterrolle ganz gut. Diese füllt sie in den Play-offs bisher mit großer Bravour aus – auch schon zum Auftakt der K.-o.-Runde gegen die Boston Red Sox war das so. Freilich sehr zum Missfallen von Baseball-Freund David Weselcouch.