Keith Jarrett, Udo Jürgens und Ernst Mosch verdanken den Bauer Studios große Alben, sogar Miles Davis hat 1991 eine Aufnahmenacht in Ludwigsburg verbracht. Vor allem große Ensembles schätzen die Qualitäten des Studios – zum Beispiel die französische Avantgarde-Bigband Ping Machine.

Stuttgart - Ein Organismus breitet sich aus im Studiosaal, greift mit seinen Klangtentakeln aus in unendliche Weiten. Der Bandleader und Gitarrist Frédéric Maurin lenkt sein 15-köpfiges Blasorchester, während es ausgeklügelte Harmoniegebilde aufschichtet, Rhythmen entfalten. In einer separaten Kabine intoniert Saxofonist Jean-Michel Couchet mit Verve ein Solo, als gäbe es kein Morgen.

 

Im Regieraum der Bauer Studios sitzt Philipp Heck hochkonzentriert vor dem Mischpult und folgt der komplexen Musik, die das französische Ensemble im großen Studio zum Klingen bringt. Nach der Aufnahme bespricht er mit Maurin, ob etwas wiederholt werden muss. „Ich bin Toningenieur, Tonmeister und Produzent in einem“, erklärt Heck. „Ich kann Partituren lesen und höre jede Ungenauigkeit, das erspart den Musikern langwieriges Abhören zwischen den Takes. Nur wenige Studios bieten das.“

Im Grenzgebiet zwischen Avantgarde-Jazz und Neuer Musik bewegt sich das Stück, das „Ubik“ heißt wie ein Zukunftsroman des US-Autors Philipp K. Dick („Minority Report“) von 1969. Der dreht sich um Menschen mit außersinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten, und die Metapher passt zu einer Musik, die wie alle Kunst abseits des Mainstreams nicht existieren könnte ohne Unterstützung – „Ubik“ ist eine Auftragsarbeit für die französische Staatsregierung. Das Zwillingsalbum, das Ping Machine parallel aufnehmen, trägt den ironischen Titel „Easy Listening“. Es ist zwar klarer im Jazz verortet, fordert aber seine Hörer ebenfalls auf virtuose Art heraus.

Der Studioraum fasst alle Mitglieder einer Bigband

Selten verlassen französische Bands ihre üppige Förderlandschaft, Ping Machine sind schon zum dritten Mal hier. „Ich habe in Frankreich kein Studio gefunden für unsere Anforderungen“, sagt Maurin. „Dann bin ich auf Platten von Bauer gestoßen, habe den Klang gemocht und mit Philipp gesprochen. Der versteht unsere Musik und kann sogar Französisch.“ Ein großer Vorteil, findet auch der gebürtige Belgier Heck, früher selbst als Trompeter in Bigbands aktiv: „Wenn man dieselbe Sprache spricht, geht alles viel schneller als in gebrochenem Englisch.“

Der Bauersche Studioraum ist groß genug, um alle Musiker einer Bigband zu fassen – eine Rarität und wichtig für Formationen wie Ping Machine, bei denen es um konzentriertes Miteinanderspielen und Aufeinanderreagieren geht. „Es gibt eine Partitur, aber die enthält an vielen Stellen nur rhythmische und harmonische Vorgaben, die die Musiker frei füllen“, erklärt Maurin. „Im Mittelpunkt steht die offene Interaktion des Orchesters, die Musiker sollen ihre Persönlichkeiten einbringen.“ Die Folge: Stücke von Ping Machine klingen bei jeder Aufführung anders.

Heck setzt beim Mischen Akzente, holt Instrumente passagenweise in den Vordergrund und nimmt andere zurück. So wird der dichte Klang transparent, Details treten hervor. Dass diese Musik ihre Hörer fordert, war Maurin schon bei der Namenswahl der Band bewusst: „Ich habe in der Tat an Monty Python gedacht. Die haben in einem Sketch ein Gerät, das nichts anderes macht als ,Ping‘ und vollkommen nutzlos erscheint.“ Auch die Macher von Jazzfestivals haben da Schwierigkeiten: „Es klingt wie Neue Musik, aber wir improvisieren nach wie vor, das irritiert viele. Wir sitzen zwischen den Stühlen.“

Der legendäre Live-Mitschnitt von keith Jarretts „Köln Concert“ wurde von den Bauer Studios produziert

Eva Bauer-Oppelland, die das Studio von ihrem Vater Rolf Bauer übernommen hat, kennt das Dilemma vieler Jazzkünstler – und ist zugleich froh, dass ihr Haus einen so guten Ruf genießt. Der legendäre Livemitschnitt von Keith Jarretts „Köln Concert“ im Januar 1975 wurde von Bauer produziert, im März 1991 nahm Miles Davis in einer Nacht-Session achtzig Minuten Musik auf, bevor er bei den Aalener Jazztagen auftrat. Das Band nahm er mit, ein halbes Jahr später starb er, die Aufnahmen blieben unveröffentlicht.

2007 war der Ex-Toto-Drummer Simon Philipps in Ludwigsburg, um zwischen zwei Konzerten Teile für den Soundtrack von „Fluch der Karibik 3“ aufzunehmen. „Filmkomponist Hans Zimmer hat bei uns angerufen, und Philipps hat das binnen einer Stunde professionell und cool erledigt“, erzählt Bauer-Oppelland. „Schwieriger war, die großen Datenmengen zwischen Los Angeles und Ludwigsburg hin- und herzuschieben, denn das Internet war damals noch viel langsamer. Das waren die Anfänge von Skype, und wir konnten sehen, dass das Studio dort ganz ähnlich aussah wie unseres.“

Das große Geld ist mit Jazz heute nicht zu machen

Heute kommen Stars wie der deutsche Pianist Michael Wollny, die Münchner Gitarristin Monika Roscher mit ihrer Bigband, der Stuttgart Bandleader Tobias Becker. Und französische Formationen wie Initiative H oder eben Ping Machine. Einige von ihnen veröffentlichen auf Bauers hauseigenen Label Neuklang. Alle schätzen die präzise Klangaufzeichnung, die familiäre Atmosphäre, den Rundum-Service: „Wir sorgen für Unterbringung, Catering und ein Großraumtaxi vom Flughafen. Gerade französische Musiker wissen das sehr zu schätzen“, sagt Bauer-Oppelland. Sie lebt in ihrem Studio ein Stück deutsch-französische Freundschaft, die sonst oft kaum über die warmen Worten luftiger Sonntagsreden hinauskommt.

Das große Geld ist mit Jazz freilich nicht zu machen. „Anders als früher verdienen die Künstler nichts mehr mit Alben“, sagt sie. „Deshalb sind unsere Preise niedriger als vor 15 Jahren.“ Und jenseits des Jazz? „In der Klassik sind die A-Künstler und die Labels mit dem Rundfunk verbandelt“, sagt Bauer-Oppelland, „die nutzen die Rundfunk-Studios. Und in der Filmmusik kommen wir nur schwer gegen Babelsberg an, die ein festes Orchester haben.“

Mal wirft das Studio einen kleinen Gewinn ab, mal ein Album. Ein weiteres Standbein sind Studiokonzerte, die aufgezeichnet werden, entweder digital oder auch mit analogem Mischpult und Bandmaschine, um dann Vinyl zu pressen. Entweder produziert Bauer die Aufnahme oder die Künstler bezahlen sie als Dienstleistung und nehmen sie mit. „Wir leben noch“, sagt Eva Bauer-Oppelland und lacht. „Aber das bisschen Gewinn fließt gleich wieder ins Equipment. Das geht nur mit einem Team, das das auch aus Liebe zur Musik macht.“