Beachvolleyballer Tim Holler aus Esslingen ist mit seinem Partner Clemens Wickler deutscher Meister und fliegt dennoch aus dem Nationalkader – weil er sich nur schwer in ein Schema pressen lässt.

Esslingen - Viele Athleten brauchen Druck, um ihre volle Leistung abrufen zu können. Um alles aus sich herauszuholen. Um erfolgreich zu sein. Es gibt aber auch die anderen, die sensibleren, die feinfühligen. Die erst dann ihr wahres Potenzial zeigen, wenn kaum jemand etwas von ihnen erwartet. Wenn sie befreit aufspielen können. So wie Tim Holler in Timmendorfer Strand. Der Beachvolleyballer aus Esslingen wurde mit Clemens Wickler überraschend deutscher Meister – ein paar Tage nachdem ihm der Verband erklärt hatte, nicht mehr an ihn zu glauben. Die Frage, ob er nach dem Titelgewinn Genugtuung verspürt habe, beantwortet Tim Holler (26) mit nur einem Wort: „Ja!“

 

Das ist eine klare Aussage. Doch so deutlich drückt sich Tim Holler nicht immer aus. Weil er weiß, dass es im Leben nicht nur schwarz und weiß gibt. Gut oder schlecht. Richtig oder falsch. Er hat es selbst erlebt. In einer Karriere, über die er sagt: „Ich hätte definitiv mehr herausholen können.“ Manchmal lag es nicht an ihm. Manchmal aber schon. „Hin und wieder“, erklärt er, „bin ich mir auch selbst im Weg gestanden.“

Tim Holler ist 2,04 Meter groß, ein Mann wie ein Baum. Wer ihn sieht, der denkt: So leicht haut diesen Kerl nichts um. Doch manchmal täuscht der äußere Eindruck. Tim Holler ist ein Athlet, der viel Ansprache benötigt. Vertrauen. Eine Wohlfühlumgebung. „Körperlich, koordinativ und im Umgang mit dem Ball gibt es in Deutschland keinen besseren Beachvolleyballer als Tim“, sagt Jörg Ahmann, Olympiadritter 2000 in Sydney und als Trainer am Olympiastützpunkt Stuttgart der wichtigste Förderer von Holler, „doch das System in Hamburg war Gift für ihn.“

Kollektiver Umzug der Männer

Das Ziel des Deutschen Volleyball-Verbands (DVV), an der Elbe seine besten Kräfte zusammenziehen, wurde bisher vor allem deshalb kritisch hinterfragt, weil die drei stärksten Frauen-Teams sich der Zentralisierung verweigern: Die Olympiasiegerinnen und Weltmeisterinnen Laura Ludwig/Kira Walkenhorst (Hamburg) bevorzugen ebenso eine Lösung mit eigenem Umfeld wie Chantal Laboureur/Julia Sude (Stuttgart/Friedrichshafen) und Karla Borger/Margareta Kozuch (Stuttgart/Mailand). Bei den Männern? Setzte zwar das große Grummeln ein, dem aber zu Beginn des Jahres trotzdem der kollektive Umzug nach Hamburg folgte. Auch Tim Holler siedelte um. Und gab dafür enorm viel auf.

Er ließ Familie und Freundeskreis zurück, die Beziehung mit seiner Freundin ging in die Brüche, sein Studium (Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Esslingen) legte er auf Eis. Um im Sand noch besser zu werden – dank der professionellen Strukturen in Hamburg mit Trainern, guten Plätzen und starken Sparringspartnern, Physiotherapeuten und Mentaltrainerin: „Es war ein Schritt in Richtung Profitum“, meint Tim Holler, „ich habe Hamburg als Riesenchance gesehen.“

Andere waren da um einiges skeptischer. Jörg Ahmann zum Beispiel. „Ein System“, erklärt der erfahrene Coach vom Olympiastützpunkt in Stuttgart, „sucht sich immer seine Leute. Es fördert keine Individualisten.“

Rasante Entwicklung von Holler

Doch Tim Holler ist einer, der sich nur schwer in ein Schema pressen lässt. Er gehörte zu den besten Nachwuchsfußballern seines Jahrgangs in Württemberg, kam erst mit 18 über einen Kumpel zum Beachvolleyball – im Freibad. Mit 20 stieg er richtig ein in den Sandkasten, drei Jahre später war er an der Seite von Jonas Schröder Studentenweltmeister und Sieger der Doha Open. Eine dermaßen rasante Entwicklung gibt es selten. Doch Tim Holler ist nicht nur ein Riesentalent, sondern auch ein spezieller Typ. Sensibel, perfektionistisch, einer, der viel nachdenkt, wenn es nicht läuft. Der hadert, wenn sich sein Partner mal wieder verletzt hat oder andere Prioritäten setzt, was bei ihm oft vorkam. Und der bedingungslosen Rückhalt benötigt, um wirklich hart an sich arbeiten zu können. Diesen gab es zu selten in Hamburg.

Nur fünf Minuten dauerte das Gespräch mit den Verantwortlichen, dann war Tim Holler raus. Aus dem Stützpunkt. Aus dem System. Aus der Förderung. Wie auch Max Betzien, Jonathan Erdmann und Armin Dollinger. Die Frage, ob er selbst in Hamburg noch eine Perspektive für sich sieht, stellte sich plötzlich nicht mehr. „Es hieß, ich hätte nicht so gut trainiert, wie ich könnte. Das kann ich nachvollziehen“, sagt der Esslinger, „sportlich kann ich es nicht verstehen. Ich bin kein einfacher Typ, aber auf dem Feld sicher nicht schlechter als die anderen.“ Deutliche Kritik übt Tim Holler, weil der Verband nach ein paar Monaten schon wieder kräftig aussortiert hat: „Der DVV trennt Teams, wie es ihm gerade passt. Zudem ist die Kommunikation ein großes Problem, mir hat in Hamburg die Empathie gefehlt. Ich habe große Zweifel, dass die Zentralisierung so funktioniert.“

Holler will weiter im Sand spielen

Ihn selbst berührt das nicht mehr. Als Beachvolleyballer hat Tim Holler finanziell zwar nicht    draufgelegt, aber auch nichts zur Seite schaffen können. Nun ist er wieder auf sich alleine gestellt. Er will im Studium durchstarten, eventuell wie früher in der Halle bei Zweitligist SV Fellbach aufschlagen. Und sich einen Partner für den nächsten Sommer suchen. „Ich werde sicher nicht aufhören“, sagt er, „dafür spiele ich viel zu gerne Beachvolleyball.“ Künftig halt außerhalb des Systems. Dafür völlig ohne Druck und Erwartungen. Erfolge schließt das bekanntlich nicht aus.