Schon früh erfuhr Winfried Kretschmann von der Brisanz der Vorgänge an der Beamtenhochschule. Doch er leitete einen Brandbrief nur weiter. Darin wurde vor rechtlichen und politischen Turbulenzen gewarnt – die es nun gibt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Winfried Kretschmann musste nicht lange überlegen. Inwieweit er persönlich über die Vorgänge an der Beamtenhochschule in Ludwigsburg unterrichtet gewesen sei, die jetzt zu einer Anklage gegen 15 Professoren und einem Untersuchungsausschuss des Landtags führten? „Ich war mit dieser Angelegenheit nicht näher befasst“, antwortete der Ministerpräsident dieser Tage vor Journalisten. Es sei Aufgabe des zuständigen Ressorts, sich um solche Dinge zu kümmern, nicht die der Regierungszentrale.

 

Tatsächlich hatte Kretschmann schon früh Hinweise, dass sich in Ludwigsburg Brisantes zusammenbraute – für die Hochschule selbst, für die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, aber auch für die Grünen in der Regierung insgesamt. Im Spätsommer 2014 erreichte ihn ein fünfseitiges Schreiben, in dem er vor einem „enormen Glaubwürdigkeitsproblem“ für die Partei und einem „gefundenen Fressen für die Opposition“ gewarnt wurde. Es stammte von einem grünen Kommunalpolitiker aus dem Kreis Böblingen namens Bernd Aupperle, dem Ehemann der Ludwigsburger Rektorin Claudia Stöckle. Wenige Monate zuvor war an der Beamtenschmiede ein Aufstand von Professoren gegen sie losgebrochen – aus Aupperles Sicht die Reaktion auf Stöckles Versuche, gemäß dem Auftrag des Ministeriums „die vorgefundenen Missstände zu klären“. Gegen die Hochschulchefin und ihre Stellvertreter sei „eine beispiellose Hetzjagd“ in Gang gekommen – bis hin zu einer halböffentlichen Resolution und substanzlosen Strafanzeigen; manches habe wohl auch strafrechtliche Relevanz. Weil das Ministerium dem Treiben tatenlos zusehe oder es sogar decke, sei enormer Schaden entstanden: „Der Ruf der Rektorin ist zerstört. Der Ruf der Hochschule ist zerstört.“ Aupperles Brief endete mit einem dramatischen Appell: Die Grünen stünden stets für „rechtskonformes Handeln“ – wie passe es dazu, dass in einem von ihnen geführten Ressort „alle Aufsichtsfunktionen versagen“? Der „liebe Herr Kretschmann“ möge sich der Sache annehmen, um weiteren Schaden von allen Beteiligten abzuwenden.

„Hetzjagd“ auf die Rektorin beklagt

Ein Ehemann setzt sich für seine Frau ein – da mag man eine gewisse Subjektivität unterstellen. Gleichwohl hätte das Schreiben ein Alarmruf sein können, ein Anlass, die Vorgänge einmal aus höherer Warte anzuschauen. Doch im Staatsministerium gab es offenbar kein solches Frühwarnsystem. Es leitete den Brief an das Wissenschaftsministerium weiter, von dem Aupperle später eine als abwiegelnd empfundene Antwort bekam; immerhin wurde ihm darin der Dank des Ministerpräsidenten übermittelt. Zehn Monate später trat er unter Protest aus der Partei aus. Ob es in der Regierung üblich sei, dass Beschwerden von denen beantwortet würden, gegen die sie sich richteten? „Ja, so ist es“, bestätigte Kretschmann. Sein Haus könne solche Dinge alleine „ja gar nicht beurteilen“. Aber jetzt solle es bekanntlich den U-Ausschuss geben, der „kann ja alles aufklären“.

Opposition bringt U-Ausschuss auf den Weg

Diese Woche wollen SPD und FDP das Sondergremium auf den Weg bringen. Bis Dienstag soll der Untersuchungsauftrag formuliert werden, am Mittwoch soll der Landtag dann die Einsetzung beschließen – wohl mit den Stimmen der gesamten Opposition. Für die Fraktion der Grünen gibt es hingegen nicht mehr viel aufzuklären. In Theresia Bauer habe man „die beste Wissenschaftsministerin, die Baden-Württemberg sich wünschen könnte“, verteidigte sie der Hochschulsprecher Alexander Salomon. Ihr Ressort habe die Vorgänge in Ludwigsburg „über den gesamten Zeitraum kritisch begleitet und weitgehende Transparenz hergestellt“. So beteuert es auch Bauer selbst immer wieder. Salomons Botschaft: Die Opposition solle sich lieber um die Zukunft der Beamtenhochschule kümmern als um die Vergangenheit.

Ähnlich argumentiert inzwischen auch die CDU als Juniorpartner der Grünen. Der Blick zurück, tadelte die Hochschulsprecherin Sabine Kurtz, schaffe für Ludwigsburg „keine neuen Perspektiven“. In der vorigen Periode, zu Oppositionszeiten, klang Kurtz noch ganz anders. Höchst kritisch kommentierte sie da die Rolle des Ministeriums, etwa beim Fernhalten der Staatsanwaltschaft: „Ihnen war es ja vor allem wichtig, dass Ruhe herrschte.“ Nicht nur in der Beamtenhochschule herrsche ein „heilloses Durcheinander“, auch in Bauers Ressort gehe es „offensichtlich nicht mit rechten Dingen zu“. Ihr Fazit unterm Beifall der Fraktion: „Sie schaden diesem Land nachhaltig.“

Ehrenamt bereitet Stratthaus Ärger

Anders als die schon immer auf Aufklärung pochende FDP zögerte die CDU indes mit einem U-Ausschuss. Einer der Gründe: Dieser könnte auch die Rolle eines Parteifreundes in den Blick nehmen, des früheren Finanzministers Gerhard Stratthaus (74). Als Elder Statesman hatte Stratthaus den Vorsitz einer dreiköpfigen Kommission übernommen, die im Auftrag Bauers die Situation in Ludwigsburg durchleuchtete und schließlich weitere Munition für die Ablösung der Rektorin lieferte – wunschgemäß, wie die CDU-Frau Kurtz damals vermutete. Zugleich geißelte sie den Versuch der Grünen-Ministerin, sich hinter dem Gremium zu „verschanzen“. Ärger blieb Stratthaus gleichwohl nicht erspart: Gegen ihn und seine Kollegen ermittelt die Staatsanwaltschaft nach wie vor wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung. Auslöser war eine Strafanzeige der Ex-Rektorin wegen fehlender Akten. Bauer hatte stets betont, die Kommission sei „extern und unabhängig“; deshalb habe man von ihr auch „keine penible Dokumentation“ erwartet.

Kommission als „verlängerter Arm“?

Neue Fragen dazu dürfte ein erst jetzt breiter bekannt werdender Aufsatz des Freiburger Rechtsprofessors Thomas Würtenberger aufwerfen. Der renommierte Jurist, der einst die Beamtenhochschule beriet und heute das Wissenschaftsministerium in einem anderen Verfahren vertritt, beleuchtet darin das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zur Abwahl Stöckles. Eher nebenbei befasst er sich mit der offenbar fehlenden Rechtsgrundlage für die Stratthaus-Kommission. Zur Frage nach deren Unabhängigkeit, sagt Würtenberger, äußere er sich gar nicht.

Doch in seinem Text finden sich Formulierungen, die auch den U-Ausschuss interessieren dürften. Aus seiner Sicht handelt es sich um „Verwaltungshelfer“, die als „verlängerter Arm“ des Ministeriums agierten. Sie seien gleichwohl „vollkommen frei“ gewesen, beteuert ein Sprecher Bauers. Der rechtliche Charakter der Kommission ist auch für die Staatsanwaltschaft von Belang. Bislang ermittelt sie nur gegen die Mitglieder – aber nicht gegen mögliche Verantwortliche des Ministeriums. Sollte sich das ändern, hätte Bauer ein Problem mehr.