Was ist das bloß für eine Musik? Folk? Jazz? Blues? Keltisches? Pop? Indie-Rock? Egal, man vergisst alle Kategorien, wenn die Amerikanerin Becca Stevens singt und spielt.

Stuttgart - Becca Stevens, die aufstrebende Musikerin aus Brooklyn, ist gerade überall auf der Welt gefragt. Trotzdem steht sie schon wieder auf der kleinen Bühne des Bix und stellt ihr neues Album vor – obwohl sie im vergangenen Herbst erst hier war. Mit von der Partie: Liam Robinson an den Tasten (Keyboard, Klavier und Akkordeon), Chris Tordini am Bass und Schlagzeuger Jordan Perlson. „Mein Dream Team“, nennt Becca ihre langjährige Band. Den Auftakt macht die Brünette im ärmellosen schwarzen Sommerkleid mit „Harbour Hawk“, einem Lied, das sie für ihre Großmama geschrieben hat.

 

Mit dem Reif im braunen Haar, der glitzert wie eine Krone, sieht sie ein bisschen aus wie eine Folk-Prinzessin. Sie hält eine E-Gitarre im Arm und singt mit glockenheller Stimme und glasklarer Intonation. Was ist das bloß für eine Musik? Folk? Ja, aber da sind Blue Notes beigemischt. Also Jazz? Eine andere Nummern klingt keltisch, eine wie eine mittelalterliche Spielmannsmusik. Und immer wieder bricht sich ein rauer Indie-Rock Bahn, der sich als geschmeidige Pop-Musik besänftigen lässt. Was also ist das für eine Musik?

Wenn die Hymnen grooven

Becca Stevens entzieht sich elegant allen Versuchen der Kategorisierung und macht ihr Ding. So einfach ist das. Das Titellied „Regina“ des aktuellen Albums kommt zunächst wie ein hübscher Folksong daher, bei dem Stevens ihren Gesang mit einer Ukulele fingerfertig umgarnt. Die junge Dame – vor 33 Jahren in einer Musikerfamilie groß geworden – kann spielen, denn sie hat einen akademischen Abschluss in Jazzgitarre.

Ihr Lieblingsinstrument ist die Ukulele (hawaiianisch für „hüpfender Floh“), die aussieht wie eine Minigitarre und einen silbrig-hellen Klang hat, weil die oberste der vier Saiten oktaviert, also höher gestimmt ist. Dieser helle Saitenklang und ihre kraftvolle Stimme scheinen wie für einander geschaffen. Als die drei Männer mehrstimmig mitsingen, verwandelt sich der Folksong in einen hymnischen Lobgesang. Fast so wie in der Antike, als ein feierlicher Preisgesang zu Ehren Apollos erklang, der von der Kithara, einem vornehmen Saiteninstrument und Vorläufer der Gitarre, begleitet wurde. Doch als nun noch die tiefen warmen Basstöne den Klangraum grundieren, als der Schlagzeuger mit seinen Besen sanft den Rhythmus hervorkehrt und der Mann am Rhodes schwebende Klangflächen erzeugt, wird aus der wohlklingenden Hymne ein groovender und hübsch arrangierter Pop-Song.

Vom Geheimnis zum Star

Mit ihrem neuen Album stößt Becca Stevens die Tür zum internationalen Ruhm auf. Aus dem „am besten gehüteten Geheimnis“ (New York Times) wird nun ein Star im Scheinwerferlicht: locker, selbstbewusst und mit erfreulich natürlicher Ausstrahlung. Musikerkollegen erinnert Becca Stevens an die junge Joni Mitchell, oder sie vergleichen sie mit der Isländerin Björk. Esperanza Spalding, die ihrerseits bereits das Bix-Publikum sehr fasziniert hat, sagt über die Kollegin: „Ihre Musik ist wie ein kühler sprudelnder Bach, der die Musik erfrischt.“ Der Sänger Kurt Elling fasst sich kürzer: „Sie ist ein Schatz!“

Tatsächlich ist Stevens mit „Regina“ ein großer Wurf gelungen. Für eine Auftragsarbeit der Jazz Gallery in New York hatte sie sich ausführlich mit dem Leben von Königin Elizabeth I. befasst, der Monarchin, unter deren Herrschaft das britische Weltreich errichtet wurde, der „Maiden Queen“, die nie geheiratet hat und 1603 - nach 45 Jahren Regentschaft - starb. Diese „Regina“ inspirierte Stevens dazu, Songs auch über andere Heldinnen zu schreiben: über „Queen Mab“ aus Shakespeares Romeo und Julia, über Ophelia, Venus, eine indianische Wassergöttin.

Venus aus dunklen Tiefen

„Ich trage diese Figuren permanent in mir. In Regina ist Becca, und Becca wird immer auch zu Regina“, sagt die aufstrebende Singer-Songwriter-Frau über ihr Konzeptalbum. Auf ihrer Europa-Tour, die in Stuttgart endet und sie weiter nach Los Angeles, San Diego und San Francisco führen wird, zeigt sie sich konzentriert und entspannt, als eine junge Frau, der sich eine glänzende Zukunft öffnet. Aus dunklen Tiefen steigt ihre „Venus“ empor, mit eleganter Leichtigkeit entfaltet sich der geschmeidige Groove von „Lean On“, und über einer dunklen Basslinie und einem pochenden Beat zeigt sich Shakespeares‘ „Queen Mab“, die winzige Traumfee aus Mercutios Rede.

Über all dem lasten keine schwer verdaulichen Bildungsbrocken, Stevens‘ Musik treibt Blüten. Am Ende des Konzerts spielt sie auf der zehnsaitigen Charango „I Asked“, ein Liebeslied aus dem Vorgängeralbum „Perfect Animal“, und singt „Was dich glücklich macht, ist auch für mich alright“. Mit einer Zugabe erinnert sie an ihre Begegnung mit David Crosby, bei dessen letztem Album „Lighthouse“ sie mitgewirkt hat und der den Text von „The Muse“ für sie schrieb. Ihre eindringliche Stimme, ihre Bühnenpräsenz, die faszinierende Musik, die treffsichere Poesie ihrer Texte und eine eingespielte Combo ließen diesen Konzertabend im Bix zu einem besonderen Erlebnis werden.