Bei der Befruchtung der Eizelle haben es die 100 bis 600 Millionen Spermien schwer. Ein verhältnismäßig langer Weg ist unter widrigsten Umständen zu bewerkstelligen. Kurz vor dem Ziel sind es meist nur noch etwa zehn Stück, die im Rennen sind.

Es ist ein frostiger Empfang. 100 bis 600 Millionen Spermien, gerade gelandet im weiblichen Genitaltrakt. Das Milieu ist sauer – fast wie Zitronensaft. Einige Spermien verfallen prompt in eine Säurestarre. Zellen des weiblichen Immunsystems eilen zum Ejakulat und setzen dort ihre DNA und Histone frei. Die DNA wickelt sich um die Spermien wie ein Spinnennetz. Die können sich nicht mehr vom Fleck rühren. Und die Histone geben dann den Spermien den letzten Rest.

 

Im Ejakulat befindet sich jedoch ein Enzym, das das DNA-Netz aufschneidet. Wie eine Kaulquappe können die Spermien dann durch Bewegen ihres Schwanzes wieder umherschwimmen. Falls ihnen ein todbringendes Histon in die Quere kommt, tragen sie ein Gegengift auf ihrer Oberfläche: Zuckermoleküle binden die Histone und machen sie schadlos, wie der Biochemiker Sebastian Galuska 2013 entdeckte.

Was soll der Kampf zwischen Mann und Frau auf molekularer Ebene, nachdem sie sich doch einfach nur geliebt haben? Vermutlich kommen mit den Spermien auch Bakterien. „Wir gehen davon aus, dass das weibliche Immunsystem deshalb so aggressiv reagiert, um diese Mikroben loszuwerden, weil sie Entzündungen verursachen können, die die Empfängnis erschweren“, erklärt Galuska von der Uni Gießen.

Die Zeit drängt. Die Spermien sind nur 60 Mikrometer lang und müssen 20 Zentimeter schwimmend zurücklegen. Das entspräche einer Strecke von rund sechs Kilometern für einen Menschen. Einige Spermien kommen nicht weit. Sie haben einen Knick oder einen zum Kringel verklebten Schwanz. „Die werden es nie schaffen“, sagt Toxikologe und Pathologe Klaus Weber vom schweizerischen Labor Ana-Path in Oberbuchsiten. „Die mit Ringschwanz schwimmen immerzu im Kreis herum.”

Weber hat gerade erst eine neue Technik zur Beobachtung von Spermien vorgestellt: Unter einem Laserscanmikroskop des Herstellers Olympus kann er die Keimzellen mehr als 17 000-mal vergrößern. Bislang schauen sich Reproduktionsmediziner diese bei maximal 1000-facher Vergrößerung an. Die neue Technik könnte die Spermienuntersuchung verbessern, die immer wieder fehlgeht. So wurde Weber, wie viele andere Männer, als unfruchtbar abgestempelt, bekam jedoch später zwei Kinder.

Im Team sind die Spermien doppelt so schnell

Bisher verglich man den Weg der Spermien gerne mit einer Rallye. „Man glaubt, die treten alle gegeneinander an und das schnellste gewinnt“, sagt Gunther Wennemuth von der Uniklinik Essen. „Doch das Bild stimmt in dieser Form nicht.“ Kürzlich berichtete er gemeinsam mit US-Kollegen, dass Spermien verschiedene Schwimmtechniken beherrschen. Sie können sich auch zu Bündeln von zwei, drei und vier Spermien zusammentun, indem sie ihre Köpfe zusammenstecken. Im Team, so wies Wennemuth nach, schwimmen sie dann doppelt so schnell wie ein Einzelkämpfer.

Endlich, beim Etappenziel Gebärmutter, gibt es erstmals weibliche Hilfe. Der Beckenboden zieht sich beim Orgasmus rhythmisch zusammen und pumpt dadurch das Sperma durch das birnenförmige Organ nach oben – vorausgesetzt, die Spermien sind rechtzeitig da. Sonst heißt es: aus eigener Kraft hindurchschwimmen.

Dann die Verzweigung: linker oder rechter Eileiter – wo steckt bloß die Eizelle? Bis heute weiß kein Forscher, woher die Spermien wissen, wo es langgeht. Vielleicht bleibt auch alles dem Zufall überlassen und die eine Hälfte schwimmt nach rechts und die andere nach links. Der zwei Millimeter dünne Eileiter ist unwegsames Gelände – „ein labyrinthartiger Grand Canyon mit vielen Einsenkungen“, sagt Wennemuth. Besondere Schwimmkünste sind gefragt.

Damit die Spermien nicht verloren gehen, hilft ihnen der weibliche Körper. An der Wand des Eileiters sind feine Härchen, die einen Flüssigkeitsstrom entgegen der Spermien verursachen. „Das Verfolgen der Strömung ist eines von zwei wichtigen Navigationssystemen für die Spermien auf dem Weg zur Eizelle“, sagt Timo Strünker vom Forschungszentrum Caesar in Bonn. Erst kurz vor der Ziellinie kommt vermutlich ein zweites Navigationssystem zum Zug: Die Eizelle sendet Botenstoffe aus. Oft ist vom Maiglöckchenduft die Rede. Doch es ist wohl ein Mythos, dass die Eizelle die Spermien mit Blumenduft anlockt. Vielmehr hat man im Labor verschiedene Duftstoffe zu Spermien gegeben und beobachtet, dass sie auf Maiglöckchenduft ansprechen. Allerdings erst bei hohen Dosen, so dass Caesar-Forscher heute bezweifeln, dass die Zutat bei der Befruchtung hilft.

So kurz vor dem Ziel sind nur noch rund zehn von den einst 100 bis 600 Millionen Spermien übrig. Die Eizelle ist umgeben von einer Hülle, an die die Spermien andocken können. Sie holen dann einen Cocktail aus Enzymen hervor, die sie am Kopf tragen. Mit diesen Substanzen können sie die Hülle aufschmelzen. In jenem magischen Augenblick, in dem das erste Spermium eindringt, wirft es seinen Schwanz ab, die Eizelle versiegelt im selben Moment ihre Hülle. Die übrigen Spermien rutschen ab.