Lange Jahre war für den schwedischen Erfolgsautor Hakan Nesser klar: Gott existiert nicht. Doch er ist ins Grübeln gekommen. Nun schreibt er sogar von einem trauernden Polizisten, der Trost bei Gott sucht. Und er will keine Kriminalromane mehr schreiben.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

München - Manchmal ist es nur das Wetter oder die Deutsche Bahn, die unsere Pläne durcheinanderwirbeln. Es geht aber auch schlimmer, wie noch zu merken sein wird. Håkan Nesser reist mit Verspätung an. Der Winter hat das Land für genau einen Tag mit seiner Anwesenheit bedacht – und für die entsprechende Verwirrung gesorgt. In München wird der Schnee zu Matsch. Ungemütlich ist es draußen. „Ich bin gleich bei Ihnen“, sagt Nesser gelassen. Er muss sich ein bisschen nach vorne beugen bei diesen Worten. Håkan Nesser ist ein großer Mann.

 

Er weiß die Gegebenheiten zu nehmen, wie sie nun einmal sind, und strahlt kein bisschen Hektik aus. Eher Gelassenheit. Er bringt noch eben den Koffer auf sein Zimmer, dann sitzt er bei einem Cappuccino in der Hotelbar und räsoniert nicht über irgendwas, sondern im wahren Wortsinn über Gott und die Welt und – sagen wir es einmal zugespitzt – wie es ist, Herrgott zu spielen über Leben und Tod der eigenen Romanfiguren.

Der Roman beginnt mit einer Katastrophe

So wie er nichts für das Wetter kann, könne er auch nichts dafür, was gleich auf der ersten Seite seines Abschiedskriminalromans seinem Helden Kommissar Gunnar Barbarotti widerfährt. Fürchterlich ist das. Der Albtraum schlechthin. Barbarotti erwacht an einem Aprilmorgen. Nesser beschreibt das sehr genau. Das Zimmer birgt noch die Nacht, alles sieht aus wie immer: die Bilder an der Wand von den Kindern und die Ablage mit den gerade erst übergeworfenen Kleidern. Der Polizist tastet mit der Hand auf die andere Seite des Bettes nach seiner Frau – und spürt nur die Kälte ihres Körpers. Sie ist tot. Gestorben an einem geplatzten Aneurysma. Irgendwann zwischen dem Gestern und dem Heute. Das sind die Einschläge im Leben, die einen wirklich aus der Spur bringen. Doch kann so ein Roman beginnen, der zu einer Serie gehört, die nach dem Empfinden vieler Leser noch weitergehen könnte? Nesser stellt Barbarottis Leben damit auf den Kopf, er jagt ihn in die Wüste, wie schon Gott Hiob geprüft hat. So hat der schwedische Erfolgsautor eben noch selbst die Situation beschrieben.

Aber er weist jede Verantwortung weit von sich. Spielerisch klingt das, nach geübtem Schlagabtausch. Aber doch nicht wie die übliche Schriftstellerkoketterie, dass die Personen ihrer Romane ein Eigenleben führen, auf das sie keinen Einfluss haben. Nesser verweist auf den Schriftstellerkollegen Stephen King, der auf die Frage, warum er eine seiner Figuren habe ermorden lassen, mit einer Gegenfrage antwortete: Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich die Wahl hatte? „Ich habe sie nicht geopfert“, sagt Nesser ruhig.

Nesser will noch drei Krimis schreiben – dann ist Schluss

Barbarotti muss leiden. Denn Håkan Nesser will sich verabschieden von seinem Helden, dem schwedischen Kommissar mit dem italienischem Vater. Fünf Jahre haben sie miteinander zugebracht. Fünf Romane, die sich ihr Schöpfer nun immer lauter scheut, Kriminalromane zu nennen. „Am Abend des Mordes“, so der deutsche Titel der letzten Geschichte über Barbarotti, sei kein Kriminalroman, sagt er. Das sei ein Buch über Trauer und Abschied – und das Hadern mit Gott.

Nesser klingt fast erleichtert, dass er endlich an dieser Wegmarke in seiner Schreibbiografie angekommen ist. Noch drei Kriminalromane wird er schreiben. In New York, London und Berlin werden sie spielen. Dann ist Schluss. „Ich will über andere Themen schreiben. Es gibt zu viele nordische Krimis. Dem Genre ist Gewalt angetan worden.“ Was als Welle begonnen habe, sei zum Tsunami geworden. Er will da nicht mehr mitmachen.

„Jeder braucht hin und wieder einen Wechsel“

„Diese Entwicklung ist ein bisschen lächerlich“, sagt der Mann, der schon so viele Veränderungen in seinem Leben vollzogen hat. Aus dem Lehrer wurde ein freier Schriftsteller, aus dem Leser ein Schreiber. Und nun steht nach zwei Jahren im New Yorker Stadtteil Greenwich Village und vier Jahren in Großbritannien, wo seine Frau als Ärztin arbeitete, die Rückkehr nach Schweden an. Im Februar soll es soweit sein. „Jeder braucht hin und wieder einen Wechsel“, sagt er unaufgeregt.

Auf der inneren Reise ist Nesser jedoch schon lange. Freilich würde er so nie über sich sprechen. Er sagt stattdessen: „Ich habe Philosophie studiert.“ Da gehört die Beschäftigung mit existenziellen Fragen quasi zum Bordgepäck des Lebens. Dennoch ist Nesser nicht das Alter Ego seines Helden Gunnar Barbarotti. Denn mit Sicherheit ist er nicht so verzweifelt wie der im Leben allein zurückgelassen Ehemann und Vater. „Natürlich“, sagt er beiläufig, „denke ich darüber nach, wie es ist, wenn einer vor dem anderen geht.“ Das tut auch Barbarotti. Und er bittet seinen Herrgott um Kraft.

Nesser ist vom Atheisten zum Zweifler geworden

Ja, richtig gelesen. Das ist wahrlich nicht das übliche Setting für eine Kriminalerzählung. Nessers bekennt: „Mir geht es wie Barbarotti. Manchmal denke ich, da ist ein Gott.“ Auch Barbarotti sucht den Gottesbeweis. „Ich wollte Barbarotti genauso. Er verhandelt mit Gott, denn er braucht einen Gott, sonst würde er vielleicht zusammenbrechen. Aber er besucht ihn nicht in der Kirche. Denn er hat keine religiöse Tradition auf die er zurückgreifen kann.“

In den 60er Jahren, erinnert sich Nesser, war sein Weltbild fest und unumstößlich. Er war Atheist. Für einen Gott war kein Platz in seinem Denken. Irgendwann vor fünf Jahren fing er an, systematisch die Bibel zu lesen. „Eine Antwort hat darin auch nicht gefunden. Aber ich glaube, dass einen Gott gibt“, sagt der 62-jährige. Vielleicht sei das ja ein Altersfrage. Auf jeden Fall sei sein Umdenken Resultat einer schleichende Entwicklung. Leichter gemacht hat es das Leben nicht. „Wenn ich Atheist oder gläubig wäre, wäre es einfach“, denkt er laut nach. Zu glauben heiße, die ganze Zeit mit diesen Fragen zu kämpfen. Was ihn manchmal in Grübeln bringt ist die Tatsache, dass zum guten Gott der Gegenpart des bösen Gesellen, des Teufels, gehöre. Vielleicht hat das Genre des Kriminalromans ja doch viel mehr mit dem echten Leben zu tun, als der Autor selbst glauben will.

Mann des Wechsels

Håkan Nesser (62) war lange JahreLehrer, bevor er 1998 den Beruf an den Nagel hängte, um nur noch als Schriftsteller zu arbeiten. Er ist in zweiter Ehe verheiratet. Er und seine Frau haben jeweils zwei Kinder mit in die Ehe gebracht. 1993 wurde er für „Das grobmaschige Netz“ mit dem schwedischen Krimipreis für das beste Debüt des Jahres ausgezeichnet.

Im Oktober ist „Am Abend desMordes“ (btb, 19,99 Euro) erschienen.Es ist der letzte von fünf Kriminalromanenum Gunnar Barbarotti. Nesser will noch drei Kriminalromane schreiben, dann will er sichanderen Themen widmen