Bei Staatsbegräbnissen erklingt häufig der Trauermarsch aus Händels Oratorium „Saul“, so auch beim Trauergottesdienst für Helmut Kohl. Besser allerdings, man kennt den Kontext nicht, aus dem das Stück stammt.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Händels Trauermarsch aus seinem Oratorium „Saul“ hat schon viele Große der Welt auf ihrem letzten Gang begleitet. George Washington, Abraham Lincoln, Winston Churchill wurden zu den getragenen Klängen beigesetzt, deren sanfte Melancholie durch ein von leisen Pauken unterfüttertes Dur gemildert wird. Das Stück ist der Standard-Trauermarsch der Bundeswehr bei Staatsbegräbnissen, und so erklang es auch beim Trauergottesdienst für den Alt-Kanzler Helmut Kohl am Samstag im Speyrer Dom.

 

Merkwürdig allerdings erscheint diese ungebrochene Popularität, blickt man auf den Kontext, aus dem das Stück stammt. Händels Oratorium erzählt nämlich nicht vom Triumph oder von der Verherrlichung des alttestamentarischen Königs Saul, sondern entfaltet dramatisch dessen traurige Alterstragödie. Saul erscheint bei Händel als ein von Eifersucht auf den jungen David zerfressener Herrscher, der den richtigen Zeitpunkt, seine Nachfolge würdig zu regeln, grandios verfehlt. Er fühlt sich von dem Goliath-Bezwinger um seinen Ruhm geprellt. Er schäumt, wütet, überwirft sich mit seinen eigenen Söhnen, lässt sich mit einer Hexe ein – und stirbt schließlich gebrochen, nachdem er vergeblich versucht hat, David, dem er den Sieg gegen die Philister verdankt, umbringen zu lassen. Dann kommt der Marsch.

Eine Ära verklingt in gemischten Gefühlen

De mortuis nil nisi bene, doch diese Musik hat ihre eigene Semantik. Wer genau hinhört, der versteht die äußerst gemischte Gefühlslage auch ohne Worte. In den letzten Takten bricht das fahle C-Dur-Leuchten in sich zusammen und erlischt in einem dumpfen Akkord, die auf den Herrscher verweisenden Pauken und Trompeten haben sich da schon längst verabschiedet. In dem statischen Duktus spiegelt sich das Entsetzen der zurückbleibenden Israeliten über die Weise, wie Sauls große Ära in Schandtaten verklingt.

Es mag pietätlos erscheinen, angesichts der feierlichen Bestattungstradition an diese Hintergründe zu erinnern. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Händels Musik sekundiert einen eher problematischen Abgang. Und unfreiwillig wird man an Dinge erinnert, an die man in so einer Situation lieber gar nicht denken will, zum Beispiel an die ein oder andere Verwerfung in der Spätphase der Regentschaft Kohls. Manchmal ist es besser, die Zusammenhänge bleiben im Dunkeln – zumindest bei Begräbnissen.

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