Ich bin müde und will nur noch nach Hause. Aber natürlich habe ich mir das Zugabteil des Grauens ausgesucht. Aus dem Leben einer Filmstudentin.

28a. ZUGABTEIL   INNEN/ABEND 

 

Ein langer Tag auf dem Filmfest liegt hinter mir. Ich will nur noch nach Hause, doch eine Zugfahrt und die Strecke München - Stuttgart trennen mich von meinem Ziel. 

Ich suche mir ein weit abgelegenes Abteil aus. Hier ist es schön ruhig. Arbeiten muss ich auch nichts mehr, ich will nur noch entspannen.

Und natürlich. Genau in dem Moment als der Zug anrollt, wird es laut. Zwei quasselnde Thai-Frauen und drei dazugehörige schreiende kleine Kinder setzen sich genau in die Sitze vor mir.

Wenn ich mich jetzt umsetze, ist das ganz schön unhöflich. Ich will die Musik lauter drehen, aber in dem Moment gibt mein Akku den Geist auf. Womit habe ich das verdient? Wahrscheinlich damit, dass mich das iPhone schon den ganzen Tag durch München führen musste. 

Jetzt fangen die Tanten auch noch an zu knipsen, mindestens hundert Fotos - pro Kind, pro Minute. Mit Blitz. Und Geräusch. Das kann man doch ausstellen, verdammt. 

Erst jetzt fallen mir die beiden älteren Herren gegenüber auf, die den beiden Thai-Frauen in den Ausschnitt starren. Vier leere Bierflaschen stehen schon auf ihrem Tisch, zwei neue werden gerade geöffnet. Sie versuchen mit Rülpsen auf sich aufmerksam zu machen. Meine Aufmerksamkeit haben sie. 

Wieder überlege ich, mich umzusetzen. Aber irgendwie bringe ich es nicht übers Herz. Und wer weiß, was mich im nächsten Abteil erwartet?

Ich versuche mich in mein Buch zu vertiefen, doch irgendwo telefoniert lautstark eine Frau mit "Mama" und erzählt von "dem langweiligsten Junggesellinnenabschied bisher". Leider nur ist ihre Schilderung dessen auch nicht spannender. Ganz offensichtlich ist sie selbst frustriert, weil es nicht ihr eigener Junggesellinnenabschied war und der wohl auch in nicht absehbarer Ferne nicht statt finden wird. Aber das ist natürlich reine Spekulation.

Der Spruch eines Drehbuch-Kollegen kommt mir ins Ohr, nämlich der, dass er die besten Geschichten in Zügen gefunden hat.

Wahrscheinlich waren das fertige Bücher, die einer dort vergessen hatte. 

Ich blicke mich um. Keine herrenlose Bücher zu sehen. 

Die Uhr sagt, dass ich eine halbe Stunde hinter mir habe. Eine HALBE Stunde. Knappe zwei liegen noch vor mir. Das Baby fängt an zu brüllen, während die Männer aggressiver baggern. 

Mir reichts. Ich packe meine Sachen und gehe ins nächste Abteil. Ha!

28b. ZUGABTEIL 2   INNEN/ABEND 

Ein jungendliches Pärchen knutscht, ein Geschäftsmann liest Zeitung. Schön. Hier setze ich mich hin. 

Als ich die Augen schließe, hallt das Baby-Gebrüll noch in meinen Ohren. 

Nur scheint es lauter zu werden.

Moment.

Als ich die Augen aufmache, sehe ich die Thai-Frauen bepackt mit Kindern ins Abteil kommen. Sie regen sich über die Typen auf, vor denen sie jetzt geflüchtet sind. 

Das älteste Kind übergibt sich.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

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