Weil er zu gründlich und deswegen zu langsam arbeitet, steht ein Freiburger Richter unter Druck. Nun bekommt er Beistand von teils prominenten Anwälten: Sie zeigen seine einstige Gerichtschefin an – wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Ein Freiburger Richter am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, der wegen seiner Gründlichkeit zu wenig Fälle erledigt, bekommt jetzt Beistand von Juristen aus ganz Deutschland. In einer konzertierten Aktion erstatten sie bei der Freiburger Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen versuchter Nötigung in einem besonders schweren Fall gegen die ehemalige OLG-Präsidentin Christine Hügel, die den Richter zu schnellerem Arbeiten ermahnt hatte. Die teils prominenten Rechtsexperten – vorneweg der bekannte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate – sehen darin einen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit, den es abzuwehren gelte. Zugleich werden beim Stuttgarter Justizministerium mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Hügel eingereicht. Damit muss der neue Ressortchef Guido Wolf (CDU) in dem seit Jahren schwelenden Fall erstmals Farbe bekennen.

 

Bundesweit gilt das Vorgehen gegen den Richter Thomas Schulte-Kellinghaus als Präzedenzfall, in der Justiz wird es mit Sorge verfolgt. Der heute 60-Jährige war Anfang 2012 von der damaligen OLG-Chefin Hügel ermahnt worden, weil er deutlich weniger Fälle als seine Kollegen erledigt. Seine Quote betrage 68 Prozent des durchschnittlichen Pensums, wurde ihm vorgehalten. Ändert er seine Arbeitsweise nicht, drohen ihm erhebliche Konsequenzen – bis hin zu einer Kürzung der Bezüge. Schulte-Kellinghaus sieht dadurch seine richterliche Unabhängigkeit berührt.

Von ihm werde verlangt, seine Rechtsanwendung zu ändern und den „kurzen Prozess“ zu suchen. Dies könne er jedoch nicht mit seinem Berufsethos vereinbaren. Unstrittig ist, dass er nicht zu wenig arbeitet; seine Entscheidungen werden zudem besonders oft in Fachpublikationen aufgegriffen. Hinter dem Vorgehen gegen ihn vermutet er das politische Ziel, die Ressourcen in der Justiz zu begrenzen: „Die Justiz darf nicht mehr kosten, als die Politik ausgeben möchte.“

Gerichtschefin verteidigt Ermahnung

Hügel hatte das Vorgehen gegen den Richter wiederholt verteidigt. Die Justiz sei verpflichtet, ihre Aufgaben innerhalb des vorgegebenen Rahmens „bestmöglich zu erledigen“, argumentierte sie. Die richterliche Unabhängigkeit dürfe kein „Freibrief“ sein, um die Arbeit nach Belieben zu gestalten. Die Ermahnung sei zudem ein niederschwelliger Eingriff. In mehreren Gerichtsverfahren, die Schulte-Kellinghaus anstrengte, hat die inzwischen pensionierte OLG-Chefin überwiegend obsiegt. Die Niederlagen vor zwei Instanzen der Dienstgerichtsbarkeit erklärt der Richter damit, dass der Sachverhalt nicht zutreffend erfasst worden sei; sein Fall liegt nun beim Bundesgerichtshof.