Karge Räume, eine leere Bahre, die nichts Gutes verheißt: Die Kunsthalle Weishaupt in Ulm zeigt, wie der Stuttgarter Künstler Ben Willikens in seinen Raumvisionen vom Menschen erzählt, ohne ihn zu malen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Ulm - Ulm - Es gab Zeiten, da hat man ihn der Blasphemie bezichtigt. Ein Abendmahl ohne Apostel, ein religiöses Motiv ohne Bekenntnis zum Glauben und sogar ohne die Hauptfigur. Denn bei Ben Willikens bleibt vom Abendmahl nur ein nackter, leerer Tisch übrig, die Türen sind verschlossen, als hätte sich diese besondere Gemeinschaft längst verabschiedet, als halte sie der Glaube nicht mehr.

 

Ben Willikens hat sich immer wieder mit Leonardo da Vincis „Abendmahl“ beschäftigt, er hat das Motiv vielfach variiert – und es sich dabei doch ganz und gar einverleibt und jedes Mal wieder einen typischen Willikens daraus gemacht. Denn Ben Willikens, der von Beginn an gegen alle Trends und Moden seinen eigenen Weg verfolgte, ist ein Maler, dessen Werk einen hohen Wiedererkennungswert hat: Er malt menschenleere Räume, meist handelt es sich um klassizistische Architektur mit einer subtilen Licht- und Schattendramaturgie. Deshalb wurden Willikens großen Formate auch gern für Vortragssäle angekauft – wie etwa für das Deutsche Architektur-Museum in Frankfurt oder das Stuttgarter Haus der Wirtschaft.

Die Kunsthalle Weishaupt in Ulm widmet Ben Willikens nun eine große Ausstellung, die auch daran erinnert, wie der monumentale Architekturmaler begonnen hat – in den politisch aufgeheizten siebziger Jahren. Als junger Mann verbrachte er wegen gesundheitlicher Probleme fast ein Jahr lang in einem Sanatorium – und diese Zeit liefert ihm fortan die Motive. In seinen „Anstaltsbildern“ zeigt er karge Wasch- und Schlafräume. Er malt Flure mit nackter Glühbirne an der Decke und vergitterten Fenstern oder eine „Anstaltseinheit“ bestehend aus Bett, Tisch, Nachtkasten. Diese in feinen Graunuancen gehaltenen Gemälde aber erzählen viel mehr, sie durchzieht eine unheilvolle Stimmung.

Er beherrscht sein Handwerk virtuos

Hier steht eine Bahre lapidar in der Ecke, deren Gurte nichts Gutes ahnen lassen, dort lässt eine Blechwanne die Verletzlichkeit des menschlichen Leibes spüren. Zwangsläufig assoziiert man mit Willikens Motiven ärztliche Übergriffe und fühlt sich an Milos Formans Psychodrama „Einer flog über das Kuckucksnest“ von 1975 erinnert. Tristesse pur.

Ben Willikens, der 1939 in Leipzig geboren wurde und an der Stuttgarter Kunstakademie studierte, beherrscht sein Handwerk virtuos. Seine Schwarz-Weiß-Welt ist brillant ausformuliert und macht die Haptik der Materialien spürbar, die Glätte der Bodenfliesen, die Kälte des Metalls. Die Abwesenheit des Menschen meint in diesen frühen Werken immer auch die Abwesenheit von Menschlichkeit. Doch diese inhaltlichen Aspekte rücken zunehmend in den Hintergrund. Auch wenn die Ausstellung in der Kunsthalle Weishaupt nicht chronologisch gehängt ist, wird doch deutlich, dass sich die Malerei zunehmend verselbstständigt und zum Hauptthema wird.

Die Beklemmung der Anstaltsbilder weicht der Weite überdimensionierter Hallen. Die Formate werden größer, riesenhaft ragen die Räume nun auf, in denen Ben Willikens seine Licht- und Schattenmalerei zu höchster Könnerschaft verfeinert. Immer wieder fügt er auch geometrische Körper ein, beim „Raum 354“ (2003) etwa platziert er auf einer Ballustrade Kugel, Würfel, Balken und Rundstab, die diffizile Schatten werfen.

Ringen um einen Neubeginn

Während es dem jungen Willikens darum ging, „Bild-Antworten“ auf Krieg und Nachkriegszeit zu geben, so werden die späteren Bilder allgemeiner. „Lager Spüle Nr 16“ nennt sich ein Gemälde von 1971, in dem die deutsche Geschichte mitschwingt. Bei dem „Raum 272 Nürnberg: Zeppelinfeld“ von 1996 erinnert dagegen nur noch der Titel an die Geschichte des Nationalsozialismus, während das monumentale Gemälde nichts als Architektur zeigt, ort- und zeitlos. Wenn sich beim „Raum 6543“ (2010) im Hintergrund eine Tür öffnet - zum Nichts oder vielleicht ja doch in Richtung Himmel, erinnert das dagegen an die romantischen Visionen eines Caspar David Friedrich und kann als Heilsversprechen gedeutet werden.

Die Ausstellung führt vor, wie stark Willikens im Lauf seiner Karriere immer wieder um einen Neubeginn gerungen hat und sich in strenger Disziplin Versuchsanordnungen stellte und Aufgabenstellungen durcharbeitete. In seinen chromatischen Reihen variiert er jeweils ein Motiv in unterschiedlichen Helligkeitsgraden. Ein Raum wird auf runder Leinwand mit verschiedenen Lichtintensitäten durchdekliniert oder ein Flur mit Türen in mehreren Varianten gemalt, die von weiß bis dunkelgrau reichen. Während bei diesen rein malerischen Fragestellungen jede inhaltliche Dimension fehlt, kombiniert er in der Floß-Serie einerseits Drucke und Malerei - und verbindet in den zweigeteilten Bildern Ansichten verfallener Arbeitsräume mit den typischen visionären Lichträumen. Wer mag, kann hier den Bogen schlagen vom irdischen Atelier hin zum Museum, dem Olymp der Kunst.

In einer neuen Serie, die erst in diesem Jahr entstanden ist, knüpft Willikens thematisch noch einmal an seine Anstandsbilder an und malt einen Flur mit Waschbecken. Die Details sind höchst plastisch, der Beckenrand scharf nuanciert – und doch muss sich Willikens an sich selbst messen. Seine Technik mag sich in den Jahrzehnten noch weiter perfektioniert haben, seine frühen Anstandsbilder aber sind so gekonnt auf den Punkt gebracht, dass auch er selbst sie nicht mehr toppen kann.