Kokainsucht, Essstörung und Selbstverliebtheit: Benjamin von Stuckrad-Barre hat mit „Panikherz“ seine Autobiografie vorgelegt – mit viel zu wenig großen Momenten. Das Buch funktioniert nur als Verbeugung vor Udo Lindenberg.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Los Angeles - Auf einmal war er da, Benjamin von Stuckrad-Barre, damals, 1998, mit seinem Soloalbum. Schnell wurde er zum Popstar der neuen deutschen Pop-Literatur, mit Anfang Zwanzig, es folgten in schneller Folge weitere Veröffentlichungen, und dann, in den Nullerjahren, irgendwie nichts mehr, da hörte man nur noch vereinzelt von ihm, Liaison mit Anke Engelke, angebliche Kokainsucht, Klinikaufenthalte. Und nun legt er – wie man in solch einem Fall wohl sagt – mit gerade mal 41 Jahren seine Autobiografie vor, „Panikherz“, und man freut sich drauf, auf die vom Verlag angekündigte „Geschichte der Popkultur der letzten 20 Jahre“. Am Ende aber bleibt ein schales Gefühl zurück. Weil hier einer auf 560 Seiten angibt, obwohl er das doch wirklich gar nicht nötig hat.

 

Denn Stuckrad-Barre ist ein wirklich begnadeter Beobachter mit einem verehrungswürdigen Sinn für Sprache. Wie er eine Begegnung mit Thomas Gottschalk beschreibt, mit dem er in Los Angeles zu einem Brian Wilson-Konzert geht und das Gottschalk-Geplauder so anschaulich beschreibt, „man fühlt sich sofort wohl und rechnet eigentlich jeden Moment mit der nächsten Wette oder einer musikalischen Darbietung“. Dazu noch lässig ein Anekdötchen eingeschoben, dass Gunter Sachs Thomas Gottschalk einen Wald geschenkt habe, weil Sachs bei einem Besuch die Aussicht von Gottschalks Grundstück auf das hässliche Nachbarhaus nicht gefallen habe und jetzt eben ein Sachs-Gedächtnis-Wald den unästhetischen Ausblick verdecke. Oder die zahlreichen Treffen mit seinem literarischen Idol Bret Easton Ellis, zwei Soziopaten und der stets bekiffte junge Freund des Autors von „American Psycho“ langweilen sich gemeinsam zu Tode und führen darüber wahnsinnig intelligente Gespräche. Oder wie Stuckrad-Barre mit Helmut Dietl an einem Drehbuch schreibt und sich das Ganze für den Leser wie ein einziger Monaco-Franze-Moment anfühlt.

Stellenweise wirkt das Buch wie eine Bunte ohne Bilder

Leider wirkt das Buch durch die häufige Schilderung von Begegnungen mit Menschen, die noch prominenter als Stuckrad-Barre sind, ein wenig so, als würde man eine „Bunte“ ohne Bilder lesen, eine „Gala“ für Intellektuelle. Vielleicht ist das aber auch nur ein dummer Vorwurf, weil man neidisch auf Stuckrad-Barres Kultur-High-Society-Leben ist.

Das zwanghafte Promi-Begegnungs-Dropping überlagert aber irgendwann auch die vielen tollen Momente, wenn Benjamin von Stuckrad-Barre die panische Angst vor einem Klassentreffen beschreibt, indem er geschwind eine Typisierung verschiedener Durchschnittstypen aus dem Ärmel schüttelt, die universell anwendbar ist, und Facebook als eine Art permanentes Klassentreffen interpretiert, weil man in dem Netzwerk ja tatsächlich permanent klassentreffenmäßig „mein Haus, mein Auto, mein Boot, meine Gesinnung“ rauspostet, um als Leser dann zu spüren, dass das „Panikherz“ in seinen schlechten Stellen nichts anderes ist als ein sehr langer, sehr therapeutischer Facebook-Post. Trotz aller ehrlich geschilderter Leiden wird man das Gefühl nicht los, dass hier einer seine Selbstzerstörung im Nachhinein als Rechtfertigung dafür nimmt, seine aktuelle LA-Phase wie einen ewiglangen begehbaren Facebook-Post zu inszenieren. Denn Stuckrad-Barre imitiert sein großes Idol Udo Lindenberg und wohnt im Hotel, im berühmten Chateau Marmont in Los Angeles, vielleicht wohnt er auch eher inspiriert von Lindenberg im Hotel, denn eigentlich wurde er von seiner Kokainsucht und seiner bulimischen Essstörung nicht durch seine vielen Klinikaufenthalte geheilt, sondern durch Udo Lindenberg.

Die besten Stellen sind Udo-Lindenberg-Stellen

Und so sind die Udo-Momente auch die besten in Stuckrad-Barres Biografie. Das gemeinsame Einreisen der beiden in die USA: Hier kann man das unwürdige Warten an der Grenze nach der Landung nachspüren. Lindenberg muss sich von einem schlecht gelaunten Beamten, der zuvor wahrscheinlich in Guantanamo Dienst geschoben hatte, ausquetschen lassen. Und wie dann Udo Lindenberg, den in Amerika überraschenderweise nicht so viele Menschen wie in Deutschland kennen, den fiesen Grenzer mit seinem assoziativen Udo-Lindenberg-Jazz-Tonfall-Geplauder verzaubert und wegcharmiert, indem er sich einen Hit auf Englisch von ihm wünscht, und Stuckrad-Barre ohne Kontrolle einreisen darf, weil er eben zu Udo gehört. Da fühlt man sich dem großen Dichter Lindenberg sehr verbunden, während einem der Stuckiman, wie Lindenberg Stuckrad-Barre als Mitglied der Panik-Familie ruft, irgendwie fremd bleibt, so seltsam distanziert schildert er das eigene Junkie-Leiden und seine Bulimie. Wenigstens weiß man nach der Lektüre von „Panikherz“, dass sich Stuckrad-Barre am liebsten zu den Stereo MCs übergeben hat.

Dieses die Krankheiten zur Schau Stellen wird dann auch noch durch regelmäßig eingestreute, Stuckradbarremäßig besonders lässig-wichtig gemeinte Versalien unterstrichen, als ob der Leser besonders doof wäre und der allwissende Autor dadurch noch PRÄSENTER wäre. Leider nervt auch das nur und ist überflüssig und stört den Lesefluss. Und am Ende bleibt das Gefühl, dass Stuckrad-Barre mit seinem „Panikherz“ eine schöne Udo-Lindenberg-Biografie geschrieben hätte, bei der man nur die redundanten Kokain-Eskapaden und Klinikaufenthalte etwas hätte straffen müssen, um ein wirklich gutes Buch zu erhalten. Oder, um es mit Stuckrad-Barre selbst zu sagen, als er sich mit Thomas Gottschalk vergleicht: „Beim Schreiben seiner Autobiografie, so er, habe er manches weglassen müssen, was zwar die Wahrheit sei, aber nach Angeberei klinge. Ein mir vollkommen fremder Ansatz.“