Die Bundesregierung in Berlin feiert das Volksvotum über Stuttgart 21 als Schlappe für die Grünen - deren Parteichef sieht das anders.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Der Grünen-Chef Cem Özdemir deutet die Schlappe für seine Partei in eine Art Sieg um. "Diese Auseinandersetzung haben wir verloren", sagt er der Stuttgarter Zeitung. "Aber die Auseinandersetzung um einen anderen Umgang mit den Bürgern bei Konflikten um Großprojekte werden wir gewinnen." Die Volksabstimmung in Baden-Württemberg sei "in jedem Fall ein Wendepunkt". Die Grünen seien "gute Demokraten", sagt Özdemir. "Wir finden direkte Demokratie nicht nur dann gut, wenn wir gewinnen."

 

Der Grünen-Vorsitzende setzt nun auf eine befriedende Wirkung des Volksvotums. Er "hoffe sehr", dass auch die Aktivisten gegen Stuttgart 21 das Ergebnis der Abstimmung akzeptieren werden. Auf die Frage nach einer vermittelnden Rolle seiner Partei antwortete deren Chef ausweichend. "Unser Job ist jetzt, darauf zu achten, dass die Auflagen aus der Schlichtung umgesetzt werden und die Kostenbremse wirklich gilt", sagte er.

Ein schöner Abend für Schavan

Im Unterschied zu Özdemir hat Annette Schavan am Sonntag einen "wirklich schönen Sonntagabend" verlebt. Als die CDU-Politikerin noch der baden-württembergischen Landesregierung angehörte, hatte sie daran mitgewirkt, die Weichen für Stuttgart 21 zu stellen. Nun freut sie sich darüber, dass eine klare Mehrheit der Bürger diesen Kurs nachträglich bestätigt habe. Die meisten Menschen im Südwesten hätten offenkundig "erkannt, dass Stuttgart 21 wichtig für das ganze Land ist, Baden-Württembergs Position in Europa befestigt und dafür sorgt, dass dies eine der interessantesten und innovativsten Regionen in der EU bleibt", sagte Schavan gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Das Votum der Bürger sei "zweifellos eine Niederlage für die Grünen", sagte die CDU-Ministerin. Die Ökopartei müsse dies "als Aufforderung begreifen, die Bürger nicht ständig für sich zu instrumentalisieren und stattdessen in der Wirklichkeit anzukommen". Die Gegner des Projekts hätten bisher stets den Bürgerwillen für sich reklamiert. "Nun hat der Bürger entschieden", sagt Schavan, "der Bürger darf also auch erwarten, dass entsprechend gehandelt wird."

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer wertet die Abstimmungsergebnisse als "wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland". Bedeutende Infrastrukturprojekte müssten auch weiter möglich sein, deshalb freue er sich über das grüne Licht für den Bahnhofsneubau, sagte der CSU-Politiker. "Wir dürfen nicht nur das Land der Ideen, sondern müssen auch das Land der Umsetzung bleiben", erklärte Ramsauer am Sonntagabend. Der Minister mahnt: "Den Ausgang der Volksabstimmung sollten alle Beteiligten akzeptieren - das gehört zur Demokratie dazu." Ramsauer hatte im Vorfeld der Abstimmung eindringlich für das Bahnprojekt geworben. In der Debatte über den Bundeshaushalt Ende vergangener Woche sagte er, der Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation biete eine großartige städtebauliche Chance.

Döring: "keine neuen Brandmauern"

Ramsauer kritisierte, dass Projektgegner falsch informiert und zum Teil gelogen hätten. Er versicherte zudem: "Die Verwirklichung von Stuttgart 21 tangiert überhaupt nicht die Verwirklichung der anderen strategisch und strukturell wichtigen Bahnprojekte in Baden-Württemberg."

Patrick Döring, der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, deutet das Ergebnis des Volksentscheids so: "Eine Mehrheit der Baden-Württemberger hat erkannt, dass Baurecht nicht mit einer Wahl verfällt." Der Liberale sieht nun "den Weg frei für das bedeutendste städtebauliche Projekt der Republik". Er sei allerdings "skeptisch, ob der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann nun glaubwürdig als Projektförderer auftreten kann". Die Gegner von Stuttgart 21 müssten nun einsehen, dass sie nur die Mehrheit der Demonstranten auf ihrer Seite hätten, nicht aber die Mehrheit der Bürger im Land. Zu der Ankündigung des Stuttgarter Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, das Land werde sich unter keinen Umständen an eventuellen Mehrkosten beteiligen, sagte der FDP-Politiker: "Es dürfen jetzt nicht gleich neue Brandmauern aufgebaut werden."

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