Vergangenes Jahr saßen wir hier, und Sie sagten, am liebsten würden Sie mal alle, die bei Pegida mitlaufen, zur Horizonterweiterung auf die Berlinale einladen. Es sind seitdem nicht weniger Leute geworden, die sich der fremdenfeindlichen Bewegung anschließen. Warum sind diese Verwerfungen noch kein Thema für deutsche Filmemacher?
Dazu gibt es tatsächlich nichts. Vielleicht kommt das noch. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht ist eine Erklärung, dass wir irgendwie so geschockt sind, weil wir realisieren, wie viele Menschen mitten in der Mitte rechtsnational denken. Leute, die wir kennen und eigentlich mögen. Das macht vielleicht erst mal stumm.
Inwiefern spielen die religiösen Konflikte im Film eine Rolle?
Auf eine spezielle Art geht es darum in dem tunesischen Wettbewerbsbeitrag „Hedi“, einem sehr stillen Film, in dem ein gut aussehender junger Tunesier von seiner Familie verheiratet werden soll und versucht, sich zu befreien. Man kann sehen, wie der Irrsinn betoniert wird durch die Tradition, welche Rolle die Religion oder Tradition dabei spielen und dass es kaum einen Ausweg gibt, außer abzuhauen.
Sie schreiben dieses Jahr Festivalgeschichte: Im Wettbewerb zeigen Sie einen achteinhalbstündigen Film. Die Galavorstellung ist für neun Uhr morgens terminiert. Wer braucht so was?
Ja, es ist der längste Wettbewerbsfilm in der Festivalgeschichte mit etwas mehr als acht Stunden Dauer: der philippinische Beitrag „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ von Lav Diaz. Diaz erzählt von den Befreiungsversuchen der Philippinen unter der spanischen Kolonialmacht Ende des 19. Jahrhunderts und beschäftigt sich mit dem Vermächtnis des philippinischen Unabhängigkeitskämpfers Andrés Bonifacio. Er geht ausführlich verschiedenen Fragen nach, die für Konflikte und Revolutionen eine Rolle spielen: Was ist eine Invasion, eine Besetzung, was für Kriege werden geführt? Und schon damals wie heute geht es darum, wer recht hat und wie Religion benutzt wird, um ökonomische Interessen durchzusetzen. Kommt einem alles bekannt vor durch die Fernsehnachrichten unserer Tage.
Aber muss das so lange dauern?
Menschen schauen heute viele Stunden hintereinander Serien zu Hause an. Warum nicht auch die ausführliche Erzählung eines Kinofilms? Letzten Endes hat der Film vielleicht auch seine therapeutische Wirkung. Er hält das Festival zum Schluss ein wenig an. Damit wollen wir auch signalisieren, dass wir aus anderen Blickwinkeln konzentriert auf die Welt schauen müssen, und uns die Zeit dafür nehmen nach einer aufregenden Woche Festival.