Bernd Begemann ist einer der am härtesten arbeitenden Männer im deutschen Showbiz. Beim Konzert im Kulturzentrum Merlin in Stuttgart dienten nicht nur zwei völlig verschwitzte Kleidersets als Beweis, sondern auch dreieinhalb Stunden Show. Solo übrigens.

Stuttgart - „Welcome to my Working Week“: Jenen Klassiker vom ersten Elvis-Costello-Album postete Bernd Begemann zum Tourstart auf seiner Facebook-Seite. Der 51-jährige Hamburger, der einen Großteil des Jahres auf Konzertreise durch die Clubs der Republik verbringt, zählt seit über einem Vierteljahrhundert ganz gewiss zu den hardest working men in showbiz.

 

Inzwischen als feste Institution im Stuttgarter Konzertkalender etabliert hat sich der traditionelle Oktober-Auftritt im Kulturzentrum Merlin. Wenig überraschend ist der Club im Westen gut besucht, als Begemann kurz nach acht die Bühne betritt und mit „Zurück an den wundervollen Ort“ gleich mit einem Liebesbekenntnis beginnt. Aus dem iPod schallen satte, schlagereske Beat-Chöre seiner Band Die Befreiung, während die „Bernd-Begemann-Show“ eindrucksvoll Fahrt aufnimmt.

Der Pate der Hamburger Schule

Es genügen wenige Minuten, dann steht fest – wieder einmal: Der allgemein als Pate der Hamburger Schule rezipierte Künstler ist die größte Rampensau, der brillanteste Entertainer des Landes. Immer knapp unter der allgemeinen Wahrnehmungsoberfläche operierend, hat sich Begemann seine ganz eigene musikalische Nische in der deutschen Popwelt geschaffen, seit er Ende der 80er mit seiner Band Die Antwort für ersten Aufruhr im Feuilleton sorgte. Die folgenden Veröffentlichungen (ob Solo oder als Bernd Begemann & Die Befreiung) wurden stets mit Lobeshymnen bedacht, doch der ganz große Erfolg blieb aus. Begemann blieb sich lieber selbst treu, schuf dabei ein kleines Panoptikum aus subtilen Alltagsstudien, gesellschaftskritischen Oden und wunderbaren Liebesliedern.

Sein Einfluss auf Diskursrock und Deutschpop ist dabei immens. Gemeinsam mit Bernadette la Hengst, Frank Spilker und Jochen Distelmeyer säte Begemann im lippischen Provinzstädtchen Bad Salzuflen die Samen aus, aus denen später die Jugendbewegung, die keine sein wollte, erblühte.

Dass es dann aber bis 2013 dauern und es dann auch noch ausgerechnet eine Blödelballade mit seinem Freund und überaus erfolgreichen Epigonen Olli Schulz sein sollte, die ihn einen Charterfolg landen lässt, hat durchaus seine komische Note. „Verhaftet wegen sexy“ spielt er dann auch recht früh im Set; direkt nach „Deutsche Hymne ohne Refrain“, der genausten Analyse deutscher Eigenartigkeit, einer ernsten Betrachtung dieser Nation mit dem ernüchtertem Schluss, „Ich will dieses Land verstehen“.

Der Wechsel von Gesellschaftskritik zu pointierter Komik findet fließend statt. Es spricht für den begnadeten Alleinunterhalter, dass dieser Spagat nie plump oder gar peinlich ausfällt, sondern vielmehr den Charme des außerordentlichen Konzerts ausmacht. „Gestern kam bei einer kleinen Soirée eine Abiturientin zu mir, die vorher meinte: ‚Das ist so ein Cover-Typ, oder?’“, berichtet Bernd Begemann lachend von einem Wohnzimmerkonzert in Stuttgart am Vortag. Und weiter: „Die hatten ‚Verhaftet wegen Sexy’ als Motto für eine Abi-Party verwendet. Das andere Motto war ‚Atemlos durch die Nacht’“. Die Anekdote sorgt für schallendes Gelächter, Begemann blickt zufrieden drein, kann er sich doch zurecht sicher sein, die 120 Zuschauer locker um den Finger gewickelt zu haben.

Setlist, was ist das?

So etwas wie eine feste Setlist ist im Begemann’schen Kontext unbekannt. Der Musiker im Modanzug mit den schicken braunen Schuhen lässt sich von seinen Launen leiten und reißt das Publikum mit. Gerne folgt es der Abrechnung mit Neo-Biedermeier und Hipsterkultur im neuen „Ich habe meinen Frieden gemacht“, der pulsierenden Rocknummer „Unsere Liebe ist ein Aufstand“ vom gleichnamigen ersten Album mit seiner tollen Gruppe Die Befreiung oder der Esoterik-Persiflage „Meine Power-Tier ist ein Gnu“.

Gentrifizierung („St. Pauli hat mich ausgespuckt“) und Kindheitserinnerungen („Gefangen in einem Samstagnachmittag“, „Ich bleibe noch ein bisschen im Baum“) sind weitere Themen, mit denen Begemann sein Auditorium charmant konfrontiert. Dazu gibt es natürlich die großen Hits wie „Fernsehen mit Deiner Schwester“, ritualisierte Mitmachspiele, leidenschaftliche Improvisationen und erschütternde Einblicke in zwischenmenschliche Abgründe.

„Ein Fremder in Deiner Wohnung“ ist da so ein Beispiel. Begemann lässt seinen roten Gibson-Nachbau mit viel Hall warm klingen, während er traurige Zeilen singt, „Dein Bett sieht furchtbar aus“, folgt und schließt passend an.

Die Leute lachen, aber nicht alles, was Begemann macht, ist zwangsläufig witzig. Im Gegenteil: Mögen auch die Entertainer-Qualitäten bei einfacher Betrachtung das Konzert beherrschen, sind es die kleinen Momente, in denen die wahre, einzigartige Klasse des großen Popdichters aufblitzt. Er verwendet eine unprätentiöse Sprache, mit der man alles ausdrücken kann, was es zu sagen gibt. Metaphernkaskaden sucht man vergebens, der Ausdruck ist präzise und extraordinär. Außergewöhnlich ist auch die Länge seiner Konzerte.

nach 17 Liedern eine kurze Pause

Nach 17 Liedern wird eine kurze Pause gemacht. Weiter geht es mit einem perfekten Liebeslied: „Aber Du meine Liebste (Bist die schönste Rose)“ vom Die-Antwort-Debüt ist die Blaupause für Echt und alle gefühlsseligen Barden der letzten Jahre, aber um Klassen besser; eine Art The-Smiths-Song auf Deutsch, ohne unsinnigen Pathos à la Morrissey. Später wird „Kein Glück im Osten“ vom fantastischen „Jetzt bist Du in Talkshows“ in einer definitiven Version aufgeführt. Improvisierte Dialoge und ein Anspielen von U2s „One“ und „With Or Without“ als vermeintliche „direkte Kommentare zur deutsch-deutschen Situation“ veredeln den Song.

Obwohl gerade erst frisch umgezogen, schwitzt Begemann bereits wieder. Das Jackett hat er ausgezogen, die Krawatte sowieso. Der große Bewegungsdrang fordert seinen Tribut. Der Leidenschaft seiner Performance tut das aber keinen Abbruch. Vielmehr bleibt der Abend im besten Sinne unberechenbar. Da wird dann schon mal „Big Spender“ a cappella oder Randy Newmans Evergreen „Baltimore“ gecovert oder das gar nicht sehnsüchtelnde „In die Dämmerung mit Dir“ gespielt. Sein „kleines norddeutsches Volkslied“, „Unten am Hafen“ wird glatt vom Publikum getragen und das Liebeslied „Ich hab’ nichts erreicht außer Dir“ lautstark mitgesungen. Publikumswünsche wie „Bad Salzuflen weltweit“ werden gerne übernommen und als dann die klassischen Fanfavoriten „Judith, mach Deinen Abschluss“ und „Gut im Bett (Nirgendwo Sonst)“ als Zugaben in ausgedehnten Fassungen serviert werden, ist die Begeisterung grenzenlos.

Dreieinhalb Stunden, vierzig Lieder

40 Songs in dreieinhalb Stunden sprechen eine deutliche Sprache. Bernd Begemann gelingt es wie keinem zweiten sein Publikum über einen langen Zeitraum bestens zu unterhalten ohne zu langweilen.

Dass sein Set dabei eine Stunde länger als der gefeierte Marathon-Auftritt von Elvis Costello Anfang der Woche ausfällt, aber weitaus weniger Längen hat, zeigt vor allem eines: Die Musikwelt ist ungerecht. Oder wie Welt-Redakteur Frank Schmiechen in einem Artikel anlässlich Begemanns 50. Geburtstag konstatierte: „Elvis Costello würde deine Songs in englischer Übersetzung singen“. 120 Stuttgarter würden diese Aussage nach einem tollen Konzert sicher nicht verneinen.

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