Wird nach dem Germanwings-Unglück nun auch die Berichterstattung zur Katastrophe? Fragen an den Medienexperten Bernhard Pörksen.

Kultur: Tim Schleider (schl)
Stuttgart – - Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen untersucht seit Jahren die Berichterstattung der Medien, besonders über Krisen und Skandale. Die Trennlinie zwischen seriösem und unseriösem Journalismus wird seiner Meinung nach auch in diesen Tagen weiter vertieft und verschärft.
Herr Professor Pörksen, seit Dienstag beschäftigt der Absturz eines Germanwings-Flugzeuges in den französischen Alpen die Medien und die Öffentlichkeit. Wie groß muss eine Katastrophe sein, um unsere Aufmerksamkeit so stark auf sich zu ziehen?
Es ist ein Extremereignis besonderer Art, das hier für nationale und internationale Aufmerksamkeit sorgt: Wir fühlen uns den Menschen nahe, die auf entsetzliche Weise zu Tode gekommen sind. Es gibt aufrüttelnde, emotionalisisierende Bilder vom Ort des Geschehens, permanente Live- und Sondersendungen. Und wir sind selbst schockiert darüber, dass unser Sicherheitsbedürfnis auf eine so elementare Art und Weise verletzt wurde: Wer hat sich schon vorstellen können, dass dergleichen passiert? Es ist also die totale Präsenz und die Konkretion des Katastrophalen, aber auch die existenzielle Verunsicherung, die in Bann schlägt.
Gab es in den vergangenen Tagen Dinge, die aus Sicht des Medienwissenschaftlers besonders schlecht oder vielleicht sogar angemessen, also gut gelaufen sind?
Es gab beides. Ich beobachte im Grunde genommen zwei Paralleluniversen der Berichterstattung. Auf der einen Seite: seriöse Medien, die Spekulationen auch als Spekulationen kennzeichnen, die ihre eigene Arbeit reflektieren, vielleicht sogar in die Rolle des Medienkritikers wechseln, zur Besonnenheit und Entschleunigung aufrufen, keine Täterdämonisierung betreiben. Auf der anderen Seite: ein Stichflammen- und Spektakel-Journalismus, der Spekulationen als Neuigkeiten verkauft und in der Hektik der Liveticker seine orientierende Kraft verliert.
Was sind die Ursachen für die Grenzüberschreitungen?
Meine These lautet: Die Mediengesellschaft hat kein kommunikatives Register, um mit Ungewissheit umzugehen. Katastrophen dieser Art brechen schnell und unerwartet über uns herein. Sie produzieren ein vierfaches Informationsvakuum: Es entsteht in der Dauerberichterstattung unvermeidlich ein Nachrichtenvakuum, was dazu führt, dass Nonsens- und Pseudo-Nachrichten produziert werden, einfach nur, weil man gerade auf Sendung ist und irgendetwas reden muss. Es bildet sich ein Faktenvakuum – mit dem Ergebnis, dass man Vermutungen über die Absturzursache auf einmal als Gewissheiten verkauft. Es gibt ein Deutungs- und Interpretationsvakuum, was zur Folge hat, dass ins Studio gezerrte Psychologen haltlose Ferndiagnosen zur Seelenlage des Todespiloten abgeben. Und es entsteht im Rausch der Berichterstattung ein Visualisierungsvakuum; man hat keine passenden Bilder, also filmt man trauernde Schüler, weinende Nachbarn oder schockierte Passagiere an irgendeinem Flughafen der Republik. Kurzum – man tut alles, um das schlichte Eingeständnis der eigenen Ungewissheit zu vermeiden, das da wäre: Wir wissen noch nicht genug. Es gibt nichts Neues. Es gilt abzuwarten.