Erschreckend leere Ränge am Freitag, eine etwa zu 40 Prozent ausgelastete Tribüne am Samstag, selbst am Renntag waren die Ränge am Hockenheimring nicht ausverkauft: Die Formel 1 steckt in einer Krise. Daran ist auch der Alleinherrscher Bernie Ecclestone schuld.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Sie können ihn nicht vergessen. Die F1-Clique Geeste/Meppen hat auf die Frontscheibe ihres Transporter-großen Campingbusses ein Plakat mit der Aufschrift „Kämpfe, Michael“ geklebt. Die Kollegen aus Kleinheubach halten mit einem Michael-Schumacher-Pappkameraden vor ihren etwas heruntergekommenen Zelten dagegen. Und auf der größten Fahne einer Fan-Artikel-Bude ist wieder Michael Schumacher zu sehen. Darauf steht: 2001 – race to win!

 

Das Jahr 2001 ist lange her, aber wenn sie könnten, würden all diese Verehrer des Rekordweltmeisters die Zeit zurückdrehen. Das war eines dieser fabelhaften Jahre, in denen der große Schumi im Ferrari die anderen Jungs reihenweise versägte. In dieser Zeit platzte der Hockenheimring aus allen Nähten, mehr als 100 000 Fans saßen auf den Rängen. Und für die meisten gab es nur zwei Dinge: die rote Kappe auf dem Kopf – und das Idol im Herzen.

Im Jahr 2014 sieht die Sache anders aus. Erschreckend leere Ränge am Freitag, vielleicht zu 40 Prozent ausgelastete Tribünen am Samstag und gestern wären die Veranstalter der Hockenheimring-GmbH für eine „schwarze Null“ bereits mit 55 000 Zuschauern zufrieden gewesen. Am Rennsonntag! Die schöne Schumi-Zeit liegt lange zurück, das ist nicht erst 2014 spürbar. Trotz seiner vier WM-Titel konnte Sebastian Vettel den deutschen Formel-1-Boom nicht am Leben halten. Der Heppenheimer wuchs nur einen Steinwurf vom Hockenheimring entfernt auf – doch die ganz verrückten Vettel-Fans muss man hier suchen.

Rosberg und Co füllen die Räng nicht ganz

In diesem Jahr rast der Südhesse nur hinterher – doch auch die auf Titelkurs fahrende deutsch-deutsche Kombination Rosberg/Mercedes füllt die Ränge nicht auf. Dazu befragt, stürzt sich der Teamchef Toto Wolff in Ironie. „Lasst uns mit einer positiven Frage anfangen“, sagt er und verweist darauf, dass man darüber nachdenken müsse. „Wenn man den Freitag in Hockenheim mit dem Freitag in Silverstone und dem Freitag in Österreich vergleicht, dann ist das eine andere Welt“, hat der Mercedes-Sportchef festgestellt. Die beiden Grand-Prix-Veranstaltungen vor Hockenheim waren ausverkauft.

Darüber nachdenken zu wollen ist schon mal gut. Doch das üblicherweise katastrophale Krisenmanagement der Formel 1 weckt wenig Hoffnung auf Besserung. Der Alleinherrscher Bernie Ecclestone führt nur eines im Sinn: an allem kräftig mit zu verdienen. Und der nicht weniger beratungsresistente Fia-Chef Jean Todt nervt Fahrer und Fans mit einer überreglementierten Rennserie, die keiner mehr kapiert.

Die Tatsache, dass im letzten Saisonrennen die doppelte Punktzahl vergeben und damit die anderen Rennen entwertet werden, ruft allgemeines Kopfschütteln hervor. Mitten in der Saison wird dann auch noch das System Fric verboten, eine Hydraulik, die die Stoßdämpfer während der Fahrt aufeinander abstimmt. Und schon seit Anfang der Saison haben die Teams Probleme mit ihren hoch komplizierten Energierückgewinnungssystemen, die die Sechszylinder-Turbomotoren unterstützen. „Die Formel-1-Autos von heute sind Batterietransporter“, lästert ein erfahrener Journalist, der sich nach einem ursprünglichen Motorsport zurücksehnt.

Geräuscharme Motoren sind nichts für Eclestone

Und was macht Bernie Ecclestone? Er mäkelt an den soundarmen Motoren herum. Das Regelwirrwarr mag Ausdruck von Führungsschwäche und Hilflosigkeit sein. Doch Ecclestones Kritik am eigenen Produkt ist kontraproduktiv, wenn er es an Sponsoren und Zuschauer verkaufen will. Zu dieser fragwürdigen Außendarstellung gesellt sich dann auch noch die sogenannte Strategiekommission, in der sich nur die Topteams versammeln und über die Köpfe der Kleinen hinweg Entscheidungen treffen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer mehr auseinander – finanziell und sportlich. Die von Finanznöten geplagten Mittelklasseteams müssen etwa 20 Millionen Dollar allein für die Kauf-Motoren bezahlen. Es bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als einen Fahrer zu engagieren, den sie eigentlich nicht wollen, der aber einen finanzkräftigen Sponsor mitbringt.

Das ist die Formel 1 im Jahr 2014. Es fehlt an einer zeitgemäßen Strategie. „Vielleicht sind weniger Zuschauer da, weil wir Weltmeister geworden sind und alle noch Fußball feiern. Aber ich denke auch, dass die Ticketpreise ziemlich gesalzen sind“, sagt der Force-India-Pilot Nico Hülkenberg. Dass sich daran zum Beispiel im Hinblick auf einen Marketingplan, der junge Leute nach Hockenheim lockt und für Motorsport begeistert, etwas ändert – Fehlanzeige. Ecclestone steht wegen Bestechung vor Gericht. Außerdem rückt der 83-Jährige nicht damit heraus, wie lange er noch weitermachen will – vorausgesetzt, der Richter meint es gut mit ihm. Der Chef höchstpersönlich blockiert also das ins Wanken geratene System.