Die Erziehung in den Kitas sei zuvörderst weiblich, heißt es. Und es solle bitteschön anders werden. Fünf junge Männer erzählen von ihrer Ausbildung zum Erzieher.

Ludwigsburg - Marcel Boch hat schon eine ganze Menge Jobs gemacht. Der Sport- und Gymnastiklehrer hat in Fitness-Studios morgens Hausfrauen und abends müden Berufstätigen Beine gemacht. Dort hat er 1200 Euro nette monatlich verdient. Er hat sich von Leihfirmen auf diverse Arbeitsplätze vermitteln lassen, stand auch beim Daimler am Band, jeden Monat kamen 1700 Euro aufs Konto. „Befriedigt hat mich das alles nicht“, sagt der 26-Jährige aus Eberdingen-Hochdorf im Kreis Ludwigsburg. Nur die Kindersportkurse, die er nebenher angeboten hat, die haben ihm gefallen.

 

Seit zwei Jahren gehört der Sportlehrer zu den zurzeit 138 Männern und Frauen an der Ludwigsburger Mathilde-Planck-Schule, die eine bezahlte sogenannte praxisintegrierte Erzieherausbildung (PIA) machen (seit 2012 eingerichtet, siehe den Artikel unten). 18 davon sind Männer, das entspricht einer Quote von 13 Prozent. Die klassische Erzieherausbildung durchlaufen in den drei parallelen Jahrgängen seit 2012 an der Schule 108 junge Leute. Nur sieben davon sind Männer, weniger als sieben Prozent. Nach der Ausbildung werden alle zunächst ein Tarifgehalt von 2366 Euro bekommen, netto sind das gut 1500 Euro.

Ein Beruf, zwei Ausbildungswege

Robin Modi (20) aus Hemmingen und Eduard Zimmer (22) aus Ludwigsburg haben sich für den klassischen Weg entschieden, beide nicht ganz freiwillig. Robin, wie er zugibt, weil er sich zu spät um einen Ausbildungsbetrieb gekümmert hat, der ihm jeden Monat das Lehrgehalt überweist. Und Eduard Zimmer hat in Nürnberg die – dort fünfjährige – Ausbildung angefangen und ist mittendrin zurück in seine Heimatstadt Ludwigsburg gezogen. David Musebach (22) aus Sulzbach/Murr sowie Marcel Boch und Simon Rödiger (18) aus Murrhardt hätten sich ohne die Chance, durch PIA schon während der Ausbildung Geld zu verdienen, wohl kaum für den Beruf entschieden. Überzeugungstäter sind alle.

Erzieher? Kaffee trinken, Bilder malen? Gehört hat das Vorurteil jeder schon. Doch: „Wir betreuen die Kinder nicht“, sagt Robin Modi, „wir fördern sie.“ Nebenbei, das sagen alle, lerne man selber eine ganze Menge über Menschen. Dank ihrer psychologischen Kenntnisse könnten sie nicht nur die Kinder in der Kita besser verstehen, sondern oft auch die Verhaltensweisen ihrer eigenen Freunde besser deuten. Die meisten hätten überrascht, aber positiv auf ihre Berufswahl reagiert, erzählen die jungen Männer. Das gilt auch für die Eltern.

Der Hip-Hopper im Kindergarten

Eduards Familie etwa war erleichtert – der 22-Jährige ist ein erfolgreicher Hip-Hop-Tänzer und träumt davon, eines Tages davon leben zu können. „Wenigstens lernst du jetzt etwas Gescheites“, hätten seine Eltern über die Erzieherausbildung gesagt, erzählt der Ludwigsburger lachend. David Musebachs Mutter leitet selbst einen Kindergarten – „bei ihren Freundinnen bin ich jetzt das Topthema“, sagt er schmunzelnd.

Robin Modi konterkariert bewusst manches Klischee. „Ich male mit Rosa und Lila“, sagt er: von wegen Mädchenfarben. Vor allem Scheidungskinder suchten die Nähe des männlichen Erziehers, diese Erfahrung hat jedenfalls Modi gemacht. „Nichts gegen Frauen“, sagt Marcel Boch. Aber: „Wir erreichen die Jungs ganz anders.“ Oft allein unter Frauen zu sein irritiert die jungen Männer nicht. Entspannter sei die Arbeit aber, wenn es einen zweiten Mann in der Einrichtung gebe, diese Erfahrung hat Eduard Zimmer gemacht.

Und David Musebach hat auf Bitten der Kolleginnen schon jede Menge Ikea-Stühle zusammengeschraubt. Ihn stört es nicht, wenn er als Mann die Schrauberarbeiten zugeschoben bekommt: „Dafür räumen die anderen halt die Spülmaschine aus, das mache ich nicht so gerne.“

Misstrauen gegenüber Männern

Die Eltern der Kleinen, mit denen die angehenden Erzieher arbeiten, sind manchmal auch nicht ohne. Ein Vater etwa wollte nicht, dass David Musebach seinem kleinen Sohn die Windeln wechselt. Mit dem Thema befasste sich daraufhin die Leitung der Tagesstätte, schließlich musste auch die Gemeindeverwaltung darüber beraten. Mit dem Ergebnis: „Ich kann wickeln, ich muss wickeln“, sagt Musebach – der Vater habe das schließlich akzeptieren müssen und dies auch getan. Heute sei es normal, wenn er den Sprössling zur Wickelkommode begleite, sagt Musebach.

Eine beispielhafte Reaktion, findet Clemens Matthias Weegmann vom Arbeitskreis Männliche Erzieher in Baden-Württemberg. In solchen Fällen sei es wichtig, dass sich das Team in der Einrichtung klar positioniere und zusammenstehe – auch auf die Gefahr hin, dass sich die Eltern eine andere Kindertagesstätte suchten. „Jeder von uns hat so was schon erlebt“, sagt der Geschäftsführer der Konzept-e gGmbH, die unter anderem 40 Kitas, zwei Grundschulen sowie zwei Fachschulen für Erzieher in Stuttgart und Karlsruhe betreibt. Manche Eltern hätten Angst davor, dass ihre Kinder von einem männlichen Erzieher missbraucht würden. Fast jeder dritte sexuelle Missbrauch werde aber von einer Frau begangen, die allermeisten Fälle ereigneten sich innerhalb der Familien, berichtet Weegmann.

Anstrengend und nicht sehr gut bezahlt

Die Erzieher steckten zurzeit in einer „brutalen Situation“. Wegen des Ausbaus der Kitaplätze und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel müssten sie immer mehr leisten. Gleichzeitig erfahre der Beruf wenig Wertschätzung – nicht nur finanziell, sondern vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung.

David Musebach mag seine Arbeit. Dennoch ist er sich ziemlich sicher, dass er nicht lange im Erzieherberuf bleibt, sondern ein Studium dranhängt: „Ich will heiraten, Kinder bekommen, ein Haus bauen“, sagt er. Seine Freundin studiere Sonderpädagogik und werde als Sonderschullehrerin sehr viel mehr verdienen als er. „Das kratzt schon am Ego“, gibt er zu.

Marcel Boch hingegen, der schon viele Jobs hinter sich hat, will Erzieher bleiben, am liebsten in einem Sportkindergarten. Eines schätzt er nämlich besonders an dem Beruf: „Ich muss bei der Arbeit immer lachen“, sagt er. Das kann nicht jeder über seinen Beruf sagen.

Die Ausbildung im Detail

PIA
Die praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher (PIA) wird in Baden-Württemberg seit dem Herbst 2012 angeboten. Anders als bei der klassischen Erzieherausbildung suchen sich die jungen Leute dabei eine Kindertageseinrichtung, die sie anstellt und eben auch bezahlt. Das Kultusministerium wollte damit den Erzieherberuf attraktiver machen – nicht nur, aber auch für Männer. Im Sommer beenden die ersten PIA-Erzieher ihre Ausbildung.

Zahlen
Landesweit entschieden sich im Herbst 2012 laut dem Statistischem Landesamt 4138 Menschen für den Erzieherberuf, gut 500 mehr als noch ohne PIA im Jahr zuvor. Der Männeranteil lag bei 12,6 Prozent – eine Steigerung um 2,3 Prozent gegenüber 2011 . Im ersten PIA-Jahrgang starteten 579 junge Leute, davon 87 Männer (15 Prozent). In der Region Stuttgart waren es 162 junge Leute, darunter 31 Männer (19,3 Prozent). Schon im zweiten Jahr hat sich die Zahl der PIA-Schüler im Land laut dem Statistischem Landesamt bei etwa gleichbleibendem Männeranteil verdoppelt; in der Region Stuttgart waren es im zweiten Jahr fast zweieinhalbmal so viel.

Erzieher
Der Männeranteil unter den Erzieherschülern spiegelt nicht die Realität in den Kindertagesstätten wider. Im Land sind 2013 nur 2,7 Prozent der Erzieher Männer gewesen. In Hamburg waren es zur gleichen Zeit immerhin neun Prozent. In der Region Stuttgart führt die Landeshauptstadt die Statistik an. In den städtischen Kindertagesstätten sind laut der Koordinationsstelle Männer in Kitas 7,2 Prozent der ausgebildeten Erzieher Männer. In den fünf Landkreisen der Region liegt der Anteil zwischen 2,1 Prozent (Kreis Göppingen) und 2,8 Prozent (Kreis Esslingen). In den 25 Großen Kreisstädten der Region schwankt der Männeranteil in den Kindertagesstätten stark. Waiblingen und Ostfildern kommen auf mehr als sieben Prozent, in Kornwestheim und Sindelfingen sind mehr als sechs Prozent der Erzieher männlich. Drei Städte – Backnang, Eislingen und Winnenden – haben zurzeit keinen einzigen ausgebildeten männlichen Erzieher in ihren Kitas.