Auch die gute Konjunktur des vergangenen Jahres hat die Langzeitarbeitslosigkeit nicht nennenswert senken können. In Stuttgart sind 18 000 Menschen, die arbeiten könnten, seit Jahren auf Hilfe angewiesen.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Am liebsten hätte sie an diesem Tag die Welt umarmt und allen, die in der Stadtbahn saßen, erzählt, warum sie glücklich ist. „Ich bin so froh, dass ich aus diesem Teufelskreis herausbekommen bin und wieder ein Geschäft hab“, sagt Gerda Buschner (Name geändert) über die erste Fahrt zu ihrer neuen Stelle. „Vorher hatte ich das Gefühl, es steht mir auf der Stirn geschrieben, dass ich keine Arbeit hab.“ Vorher, das bedeutet: mehr als zwei Jahre ohne Job, also langzeitarbeitslos, mit 52 trotz Ausbildung zur Bürokauffrau bei Bewerbungen kaum eine Chance, auch nur die Mappe zurückzubekommen. „Wenn die Arbeitgeber das Alter sehen“, sagt sie, „ist man weg vom Fenster.“

 

Rund 17 100 Menschen sind in Stuttgart Ende August ohne Arbeit gewesen, 11 970 von diesen, also 70 Prozent, haben Hartz IV erhalten und wurden wie Gerda Buschner vom Jobcenter betreut. Der Blick zurück zeigt: Auch die Bezieher von Arbeitslosengeld II haben 2011 von der guten Konjunktur profitiert, aber nur wenig, in dieser Gruppe ist die Erwerbslosigkeit um lediglich 0,2 Prozentpunkte gesunken.

18 000 Erwerbslose brauchen seit Jahren Unterstützung

Und je länger die Menschen ohne Arbeit sind, desto schwieriger ist es für sie, wieder eine Stelle zu bekommen. So hat die mit rund 4780 Betroffenen nicht gerade kleine Gruppe der Langzeitarbeitslosen selbst im konjunkturell günstigen Jahr 2011 um zwei Prozent zugenommen. Und selbst dieser Wert von rund 40 Prozent der im Jobcenter registrierten Erwerbslosen, die als langzeitarbeitslos gelten, also ein Jahr oder länger ohne Job sind, bildet die tatsächliche Lage nur sehr begrenzt ab. Jeder Langzeitarbeitslose, der ein Training absolviert oder einen Integrationsjob macht, der länger als sechs Wochen dauert, kehrt in der Zeitrechnung auf null zurück und gilt wieder als arbeitslos wie am ersten Tag.

Auch wegen dieser statistischen Verzerrung ist für Jobcenter-Chef Jürgen Peeß eine andere Zahl aussagekräftiger: die der sogenannten Langleistungsbezieher. Dies sind erwerbsfähige, aber arbeitslose Menschen, die in den vergangenen zwei Jahren mindestens 21 Monate auf Unterstützung angewiesen waren. Zu dieser Gruppe gibt es eine gute und eine schlechte Meldung. Die gute: sie ist im Laufe des Vorjahres um 6,7 Prozent gesunken. Die schlechte: die Zahl der Menschen, die zwei, drei oder gar fünf Jahre auf Hilfen angewiesen sind, liegt noch immer knapp über 18 000.

60 Prozent haben keine Ausbildung

Auch Gerda Buschner wird, trotz ihrer neuen Stelle, weiter zu dieser Gruppe gehören. Weil sie vorerst nur halbtags beschäftigt ist, wird sie zu ihrem Lebensunterhalt sogenannte aufstockende Hilfen benötigen. Ende des vergangenen Jahres zählten in Stuttgart 6750 Menschen, die eine Beschäftigung hatten – ob mit Minijob, Teilzeit- oder Vollzeitstelle –, zu diesen „Aufstockern“. Das waren aber immerhin zehn Prozent weniger als zwölf Monate zuvor. Ein beträchtlicher Teil der Langzeitbezieher, etwa 3600, sind Alleinerziehende mit kleinen Kindern. „Die würden zum Teil arbeiten wollen“, sagt Jobcenterchef Peeß.

Bei der großen Gruppe der Menschen, die schon etliche Jahre ohne Anstellung sind, ist eines besonders markant: 60 Prozent haben keine Ausbildung. Und dies in einer Zeit, in der ein Trend ungebrochen ist: „Man braucht immer weniger Leute für einfache Arbeiten“, sagt Jürgen Peeß.

Qualifizierung wird immer wichtiger

Die Antwort darauf lautet im Jobcenter: Nachqualifizierung. Rund fünf Millionen Euro gibt man 2012 in diesem Bereich für verschiedene Programme aus. Das neue, seit Sommer tätige Arbeitgeberteam des Jobcenters soll die Arbeitssuchenden nicht nur an passende, vor allem kleine und mittlere Betriebe vermitteln, man bietet den Firmen auch dann Hilfe, wenn Schwierigkeiten am neuen Arbeitsplatz auftreten.

Bisher hat sich leider gezeigt, dass man aus der Gruppe der Langzeitbezieher zwar Erwerbslose vermitteln könne, aber meist nicht nachhaltig, sagt Jürgen Peeß: „Nach einigen Monaten kommen sie zurück.“ Um deren Chancen zu verbessern, wäre es aus Sicht des Jobcenterchefs sinnvoll, speziell für diese Personengruppe „modularisierte Teilausbildungen mit Zertifizierung“ zu entwickeln, ein Aufgabe, die mit den Wirtschaftskammern zu leisten wäre.

Berlin hat Fördermittel stark gekürzt

Das alles aber kann nichts daran ändern, dass Berlin das Geld zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen stark gekürzt hat. Vor wenigen Jahren sind es noch 32 Millionen Euro gewesen, nächstes Jahr werden es nur noch 18 Millionen Euro sein.

Gerda Buschner hat damit ihre Erfahrungen gemacht. Bevor sie so lange ohne Job war, hatte sie einen Zeitvertrag in der Verwaltung eines Sozialunternehmens. Das musste sie kündigen, weil der Bund die Mittel für Integrationsprojekte, die dort angeboten wurden, gestrichen hatte. Nach langer Suche und einer dreimonatigen Ausbildung zur Betreuungsassistentin hat die 52-Jährige wieder einen Fuß im Arbeitsleben. In einer Pflegeeinrichtung kümmert sie sich um Senioren mit Demenz. „Da nehmen sie keine Jungen, weil die alten Leute sich von denen nichts sagen lassen.“