Die Kommune versucht, demente Menschen in den Alltag zu integrieren. Vor dieser Herausforderung stehen viele Gemeinden. Michaela Sowoidnich, die Initiatorin der Allianz für Menschen mit Demenz, ist überzeugt: „Wir schaffen die Strukturen für die Zeit, wenn wir selbst alt sind“.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Besigheim - Michaela Sowoidnich kennt das Robert-Breuning-Stift noch aus der Zeit, als ihre hochbetagte Urgroßmutter dort lebte. Anfang der 80er- Jahre war das. „Meine Uroma hatte immer eine Schürze mit roten Blümchen an und saß auf der Wiese“, erinnert sich die 49-Jährige. „Da laufen lauter rote Elefanten“, murmelte die alte Dame vor sich hin, wenn sie auf den Stoff schaute. Die Oma ist halt ein bisschen verwirrt, sagte man damals.

 

Heute ist Michaela Sowoidnich die Hausdirektorin im Stift im Besigheimer Wohngebiet Bülzen, einer Einrichtung der evangelischen Heimstiftung. Menschen wie ihre Urgroßmutter gibt es hier immer mehr. Bei 80 von 126 Bewohnern des Seniorenheims auf dem Berg ist die sogenannte Alltagskompetenz eingeschränkt. Sie sind damit ein Abbild der Gesellschaft und keine Besigheimer Besonderheit. Statt verwirrt nennt man sie heute dement. Bundesweit wird sich ihre Zahl von derzeit 1,3 Millionen bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Im Robert-Breuning-Stift gibt es keinen speziellen Demenzwohnbereich. Und um den Betroffenen zudem so lange wie möglich ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, knüpft die Heimleiterin eifrig an einem Netzwerk, das sich lokale Agenda für Menschen mit Demenz nennt.

Das Bundesfamilienministerium fördert das Projekt

Einen ersten positiven Bescheid des Bundesfamilienministeriums zur finanziellen Förderung des Projektes in Höhe von 10 000 Euro gibt es auch schon. Michaela Sowoidnich will dort stabile Beziehungen schaffen, wo die hilfsbedürftigen Menschen bisher wohnen. Vor allem aber geht es um Würde und Respekt.

Diesem Ansatz folgt unter anderem auch das Kleeblatt-Kompetenzzentrum für Menschen mit Demenz in Freudental seit 2004. Dort hat man jedoch einen geschlossenen Wohnbereich mit speziellen Angeboten geschaffen. Sowoidnich hingegen verfolgt einen inklusiven Ansatz, der ihrer Herkunft aus ihrem ersten Beruf als Heilerziehungspflegerin und der Arbeit mit behinderten Menschen geschuldet ist.

Mit Unterstützung ein selbstständiges Leben ermöglichen

Inzwischen hat sie sich noch das Qualitätsmanagement angeeignet und eine weitere Ausbildung als Altenpflegerin gemacht. Ihre Überzeugung ist dabei immer die gleiche geblieben: Menschen sollten nicht separiert werden, sondern dazugehören. „Ich muss den Menschen dort abholen, wo er steht“, sagt sie und macht anschaulich, was sie damit meint. Wenn sie richtig begleitet werden und es Helfer und Unterstützung gibt, müssten demente Menschen nicht zu Hause eingesperrt werden. „Dann können sie noch einkaufen und rausgehen“, sagt sie. Sie lacht, wenn sie die Geschichte vom alten dementen Mann erzählt, der von seiner Frau regelmäßig zum Bäcker geschickt wird, obwohl er sich nicht merken kann, was er kaufen soll. Aber der Bäcker fragt ihn einfach: „Dasselbe wie immer?“ Der Alte Mann muss nur nicken und bekommt seine drei Brezeln und Brötchen.

Sowoidnich weiß, dass dieses Vorgehen seine Grenzen hat. Aber sie ist überzeugt: „Wir müssen neue Formen in der Begleitung alter Menschen finden.“ Sie verfolgt dieses Ziel mit einer gehörigen Portion Herzblut. Und sie weiß auch, dass es pure Notwendigkeit ist, weil der Gesellschaft die pflegenden Kinder ebenso wie die Pflegekräfte im stationären Bereich ausgingen. „Wir schaffen heute die Strukturen für die Zeit, wenn wir selbst alt werden.“ Dafür gibt es bisher kein Vorbild. „Aber wir sind die Experten fürs Alter“, sagt sie selbstbewusst. „Wir können mehr nur als Pflege.“

Das Netzwerk knüpft sich allmählich

Mitstreiter hat Sowoidnich nach zwei Netzwerktreffen inzwischen schon viele gefunden: unter anderem die evangelische Kirchengemeinde, die Apotheke am Bahnhof, das Amtsgericht, die Diakonie- und Sozialstation sowie einige Privatpersonen. Besigheims Bürgermeister Steffen Bühler hat die Schirmherrschaft übernommen. Die Seniorenarbeit ist auch im Stadtleitbild Besigheims verankert. „Die Gesellschaft ist bereit, etwas zu tun“, deutet Sowoidnich das breite Engagement an.

In einem ersten Schritt haben sie und einige Mitstreiter Besigheim erkundet und in Interviews die Frage gestellt: Kann man hier gut alt werden? Erstes greifbares Resultat: um die Barrierefreiheit ist es in dem historischen Städtchen schlecht bestellt.