Die Jugendgruppe des Amateurtheaters Studiobühne Besigheim haucht der antiken Tragödie König Ödipus neues Leben ein. Die Neudichtung mit Musik des Kabarettisten Bodo Wartke ist noch bis zum Sonntag, 2. November, im Keller des Besigheimer Steinhauses zu sehen.

Richtig ätzend finden die Schüler auf der Bühne den König Ödipus. Sie recken zu Beginn des Stücks ihre gelben Reclam-Heftchen in die Luft, stampfen im Gleichschritt Richtung Publikum, zerreißen die Seiten und skandieren: Nieder mit der Pflichtlektüre – so tönt es bei der Premiere der Studiobühne Besigheim durch den Gewölbekeller des Steinhauses.

 

Doch die Lehrerin Frau S. (Meliha Toekmel) findet einen Weg, den Teenies die griechische Tragödie näherzubringen – indem sie das Stück spielen lässt. Die Rolle des König Ödipus, der gemäß einem Fluch erst seinen Vater umbringt und dann seine eigene Mutter heiratet, ist dabei so unbeliebt, dass sie Frau S. dem unaufmerksamsten Schüler (Felix Gosch) gibt. Das Stück im Stück macht die jungen Leute in ihren Schuluniformen zu Figuren der griechischen Mythologie – allerdings mit jugendlicher Sprache, Gesang und Rap-Einlagen.

Sprechgesang statt Sophokles-Verse

„In keinem Drama gibt es so ein mieses Karma“, heißt es da etwa als gerappte Kurzzusammenfassung. „Und das nicht einmal, sondern ’n paarmal.“ Das erste miese Karma ist der Fluch, der auf König Laios lastet: Sein Sohn werde erst ihn meucheln und dann die eigene Mutter ehelichen, heißt es. Daraufhin geben die Eltern das Kind einem Hirten, damit er es in der Wildnis aussetzt. Doch Ödipus überlebt und erfüllt, ohne es zu wissen, den Fluch. Dabei verstrickt er sich immer tiefer in sein Schicksal, je mehr er davor flieht. Selbst ein Seher vermag ihm nicht die Augen zu öffnen – obwohl er den König ganz unverblümt über sein Verhältnis zu Iokaste aufklärt: „Du, ihr Macker, bist in echt ein Motherfucker!“

Statt Kulissen gibt es wenige, aber auf den Punkt gebrachte Requisiten. In den Armen des Hirten (Rebecca Sahler) wird eine Baseballcap zu Baby Ödipus. Zitieren die Schauspieler aus dem Original von Sophokles, halten sie das Reclam-Heft in die Höhe.

Frei nach dem Motto: Iokaste, wat haste?

Überhaupt die Sprache: die verdankt die Jugendbühne der Studiobühne Besigheim dem Musikkabarettisten Bodo Wartke. In der 12. Klasse hat dieser beschlossen, „König Ödipus“ umzuschreiben und in ein Musical zu verwandeln. Nach 15 Jahren Arbeit hatte das Ein-Mann-Stück im Mai 2009 in Hamburg Premiere – und wurde ein voller Erfolg. Die Reimform hat Wartke beibehalten. Er nutzt sie aber häufig als Sprechgesang, was gerade den jungen Schauspielern gut zu Gesicht steht.

Der Regisseur Daniel Neumann ist ein Wartke-Fan der ersten Stunde. Er hat das Ein-Mann-Stück, in dem Wartke allein alle Rollen übernimmt, für ein Dutzend Nachwuchsschauspieler umgeschrieben. Die Rahmenhandlung mit der gelangweilten Schulklasse und der pfiffigen Lehrerin haben der Regisseur und sein Ensemble hinzugedichtet. Neumann hat als Teenager bei der Studiobühne angefangen. Heute arbeitet er als Musical-Darsteller und Regisseur in ganz Deutschland. „Die von der Studiobühne sind schuld an dem, was ich heute mache“, sagt der Besigheimer.

König Ödipus und Bodo Wartke, wie geht das zusammen? Das mag sich mancher Premierenbesuche vorab gedacht haben. Dabei führt gerade diese Fassung wunderbar vor Augen, welches Potenzial der Tragödienstoff aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. hat. Er könnte Drehbuch-Autoren heutiger Seifenopern vor Neid erblassen lassen – oder eben Jugendliche für Sophokles begeistern. Frei nach dem Motto: „Iokaste, wat haste?“