Immer wieder schließen Clubs oder ändern rigoros ihr Programm. Die alternative Konzertszene hat das Nachsehen, wird aber von einigen Idealisten mit ungewöhnlichen Veranstaltungskonzepten am Leben erhalten. Wir haben einige Beispiele.

Stuttgart - Es ist nicht gerade einfach in der Konzertbranche. Die einen beschweren sich, dass Clubkonzerte 25 Euro kosten und werfen dann doch 700 Steine für die Stones aus dem Fenster, die anderen schwören nur noch auf Festivals, wo sie für 200 Euro zig Headliner vor die Nase gesetzt bekommen. Nimmt man in diese Aufzählung noch die unschöne Tatsache hinzu, dass der Stadt entweder mehr und mehr Spielstätten wegbrechen (Zwölfzehn) oder sich zum Schlechten wandeln (Schocken), bleibt eine ernüchternde Feststellung: Es ist alles andere als leicht, in Stuttgart für eine lebendige, florierende, üppige Konzertlandschaft zu garantieren.

 

Aus Mangel an Locations werden selbst die Jugendhäuser zu prominenten Venues, in denen eine Band nach der anderen Halt macht, auch in Kneipen finden immer wieder Konzerte statt, die eigentlich in die kleinen Clubs gehören. Doch wie es immer ist, wenn irgendwo Not am Mann ist, erwacht ein ganz besonderer Erfindergeist. In letzter Zeit hören wir im Kessel immer wieder von alternativen Veranstaltungsorten, von ungewöhnlichen Ideen, von Kombinationen, die die Menschen wieder dazu bringen sollen, mehr auf Konzerte zu gehen.

Ganz vorn dabei: Die Menschen von Arts Meets Art, die mit ihrer Konzertreihe Songs Of Marble Hall den altehrwürdigen Marmorsaal im Weißenburgpark bespielen. Schon in der Vergangenheit mehr als ein klassisches Konzertkonzept und eine Art „bohemian“ Variante des Indie-Gigs mit Häppchen und gutem Wein, haben die Macher das Konzept jetzt noch mal umgestellt. Man will schließlich ein „Forum für innovative Kulturkonzepte“ sein, da muss dann auch was kommen.

Paella und neue Freunde

„Hierzu stelle man sich eine meditative, narrative Stimme vor“, beginnt Initiatorin Miriam Lehle ihre Beschreibung: „Eine stressige Woche liegt hinter uns. Wir beginnen den Abend mit einem Fußweg durch den Weißenburgpark. Wir entschleunigen. Wir folgen dem Duft des Essens, der uns an eine lange Tafel auf einer wunderschönen Terrasse inmitten der Natur führt. Aus dem Saal sind popähnliche Klänge zu hören. Drinnen probt die Band. Aus einer große Pfanne wird frische Paella geschöpft. Der Wein kommt von einem befreundeten Weingut aus Portugal. Wir kommen ins Gespräch, machen neue Bekanntschaften. Tapetenwechsel. Danach betreten wir den Saal mit einem wohligen Gefühl… Kerzenlicht, weiche Sitzkissen… das Konzert beginnt. Wir sind nah dran. Wir lauschen den Geschichten, die erzählt werden, und erkennen uns selbst an der einen oder anderen Stelle wieder. Aus Menschen, die sich nicht kennen, wird eine Gemeinschaft. Nach dem inspirierenden Konzert werden die Plattenteller in Bewegung gesetzt.“

Salami aus London

Das ist weder aufgesetzt noch will man einen auf Noblesse machen. Den Veranstaltern wäre es eben einfach nie in den Sinn gekommen, einfach so ein paar Bands in einem Club zu stopfen und dann spielen zu lassen. Nicht, weil sie per se etwas dagegen haben. Sondern eher weil sie nicht anders können. Bei der vierten Marble-Hall-Sause am 3. Juni gibt es als musikalischen Akteur L.A. Salami, ein hochgelobter Künstler aus London, der gerade die Indie-Szene und Feuilletons aufmischt und sehr bald von sehr vielen geliebt werden wird.

Eine Reihe wie Songs Of Marble Hall ist somit durchaus mit den sogenannten Boutique-Festivals zu vergleichen, die sich auch kaum stärker von der üblichen Massenabfertigung mit zwei riesigen Bühnen, Bierbuden und Riesenrad unterscheiden könnten. „Die Sehnsucht nach Authentizität und liebevollen Konzepten nimmt zu“, nickt Lehle.

Claudia vom Verein In die Wohnzimmer e.V. sieht das ganz ähnlich. Seit einigen Jahren veranstaltet sie bei sich und anderen Wohnzimmerkonzerte, ist längst so was wie die Spezialistin für diese Art von privaten Konzertkonzepten. „Für uns als Veranstalter ist der Kontakt mit den Musikern aus aller Welt wirklich etwas Besonderes“, schwärmt sie. „Im Laufe der 24 Stunden, die man so eng miteinander verbringt, lernt man sich durchaus ein kleines bisschen kennen und erfährt einiges über Länder, Menschen und Musik.“ Publikum und Musikern gefällt die Intimität, die Intensität, die persönliche Note eines solchen Konzerts, der Hut geht rum, meist sind alle glücklich. Aus nächster Nähe kann man das wieder am 27. Mai bewundern, wenn der Songwriter Matt Sheehy aus Portland in Feuerbach Station macht (Anmeldung wie immer unter mail@indiewohnzimmer.de).

Verkrustet und unflexibel

In Stuttgart gibt es diese Konzerte mittlerweile sehr regelmäßig, längst sind sie für viele eine echte Alternative zu „normalen“ Locations. Und für nicht wenige Bands die einzige Möglichkeit, überhaupt an Auftritte zu kommen. „Wenn man unbekannteren Musikern Auftrittsmöglichkeiten geben möchte, kann man – egal wie man es dreht und wendet – nicht allein davon leben. Es ist sogar schwierig“, betont Claudia, „wenn man den passenden Club dazu betreibt und sich über den Getränkeverkauf etwas gegenfinanzieren kann.“ Klar: Für den Verein klappt das auch nur, weil er nicht davon leben muss. Und somit die nicht gerade unaufwändige Arbeit (30 bis 40 Stunden pro Konzert sind normal) übernimmt, die eigentlich der Kulturförderung obliegen müsste. „Die Kulturvereine Stuttgarts kommen der Förderung im Konzertbereich zu wenig nach. Die sind in ihren Strukturen mittlerweile zu verkrustet und unflexibel – und natürlich auch nicht nur auf Konzerte ausgerichtet.“

Wer davon leben muss, sind die großen Konzertveranstalter wie SKS Michael Russ. Selbst die finden Konzepte wie die Wohnzimmerkonzerte gut, betont Geschäftsführer Paul Woog. „Wir freuen uns immer über ein Mehr an Kultur. Insbesondere im Pop- und Rockbereich gibt es so viel gute neue Musik, dass es großartig ist, wenn Livemusik auch mal im privaten Bereich stattfindet.“ Dennoch deutet auch er die Zeichen. „Es ist erschreckend, wie die Musik in diesen privaten Bereich zurückgedrängt wird. Das kann und darf einer Stadt wie Stuttgart nicht gleichgültig sein.“ Es wird, legt er dar, immer schwieriger, regulär Konzerte zu veranstalten, „da die Kosten und Auflagen immer steigen und die Stadt im subkulturellen, unabhängigen Clubbereich wenig dafür tut, um hier Entlastung zu schaffen. Am Ende fehlen ganz einfach die öffentlichen Räume für Live-Musik, da ein Club nach dem anderen dem Investorendruck weichen muss.“ Neben den Wohnzimmerkonzerten sind es derzeit vor allem Stuttgarts Jugendhäuser, die überhaupt noch kleinere Bands buchen. „Toll, dass sie das machen“, findet Woog, „aber zugleich auch bedauerlich, dass sie müssen.“

Zurück auf die Straßen!

Was tun? Die Segel streichen? In möglichst kommerzielle Fahrwasser abdriften? Die Stuttgarter Band Antiheld hat eine ganz andere Antwort auf diese Frage parat: Zurück auf die Straßen! Mittlerweile haben die Indie-Popper rund 50 Straßenkonzerte gespielt. Am liebsten am Schlossplatz, meint Sänger Henry Kasper. „Hier hat man das meiste Laufpublikum. Viele hocken gerade im Sommer auch auf der Wiese oder auf der Terrasse vor der Börse. Aber auch auf dem Marienplatz ist es super. Gerade gegen Abend, wenn noch ein bisschen Sonne ist.“ Für die Band sind Straßenkonzerte eine optimale Ergänzung zu den Clubauftritten – und natürlich auch eine recht unkomplizierte Art, Werbung zu machen. „Hinfahren, spielen, vielleicht ein paar CDs verkaufen und im Bestfall neue Fans und gute Bekannte gewinnen, die dann auch zu regulären Shows kommen“, so umreißt Kasper das Prinzip. Das Gefühl auf der Straße sei schon sehr speziell, meint er. „Anders als bei Club- oder Festival-Shows ist hier alles viel direkter. Wir stehen ja zum Teil inmitten der Leute. Da bekommst du jedes Augenzwinkern, jedes Lächeln, jede Reaktion auf die Songs unmittelbar mit.“

Das ist natürlich noch nicht alles. Das Duo Midnight Circus bespielt bevorzugt Off-Locations, im Wizemann gibt es regelmäßig das Happening, eine Mischung aus Dinner und Konzert, beim Bergkonzert wird der Park der Villa Berg bespielt. Zu entdecken gibt es viel, auch der herkömmliche Konzertbetrieb hat immer wieder besondere Perlen zu bieten.

Wie bei allem gilt: Hingehen, hingehen, hingehen. Davon lebt der kleine Kulturverein, aber eben auch der Veranstaltungsriese. „Konzerte ganz ohne Förderung rechnen sich frühestens ab 300 Besuchern, aber dann schläft die Band immer noch bei Freunden“, betont der SKS-Geschäftsführer Paul Woog, „und es gibt als Catering einen Döner von der Ecke. Professionell durchgeführte Konzerte rechnen sich in der Regel ab 800 Besuchern.“ Dass das in dieser Größenordnung dann nicht für einen Zehner zu haben ist, sollte allen klar sein. Und wenn nicht, kann man sich ja einfach mal selbst an einer Veranstaltung versuchen. Wir sind gespannt auf Berichte und Erfahrungen.