Nicht nur mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung stehen auf der Liste, die der türkische Geheimdienst im Februar dem BND übergeben hat. Auch deutsche Politiker hat der MIT auf dem Radar.

Berlin - Sie ist die Ehefrau des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering und sitzt seit 2013 selbst im Bundestag. Dort gehört sie dem Auswärtigen Ausschuss an, wo sie die Türkei-Berichterstatterin ist. Zudem steht Michelle Müntefering der deutsch-türkischen Parlamentarierdelegation vor, die erst Anfang Februar unter großem Sicherheitsaufwand von Seiten des Bundeskriminalamts die Türkei besucht und Gespräche geführt hat. Nun ist die 36-Jährige ins Visier des türkischen Geheimdienstes MIT geraten, was in Berlin als weiteres Anzeichen für die fast tägliche Verschlechterung der Beziehungen mit Ankara im Vorfeld des umstrittenen Verfassungsreferendums von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gewertet wird.

 

In einer vertraulichen Sitzung des Bundestags-Innenausschusses wurde am Mittwoch zuerst bekannt, dass auf der am Vortag bekannt gewordenen Liste von Überwachungszielen der türkischen Spione auch zwei deutsche Mandatsträger stehen . Darunter sei auch „der Name eines Mitglieds dieses Hauses“, sagte später Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) während der aktuellen Fragestunde im Bundestag. Am späten Nachmittag bestätigte Müntefering selbst, dass ihre Person in der 68-seitigen Hochglanzbroschüre mit insgesamt 358 Namen auftaucht, die Ankaras Agenten am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar den deutschen Kollegen vom Bundesnachrichtendienst übergeben haben. Die türkische Seite verlangte dabei Amtshilfe, um mehr über Mitglieder oder Unterstützer der sogenannten Gülen-Bewegung in Erfahrung zu bringen, die sie hinter dem Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres vermutet.

Merkel will sich nicht äußern

„Dieses Vorgehen der türkischen Regierung zeigt einmal mehr den Versuch, kritische Positionen zu unterdrücken“, teilte Müntefering mit: „Als Vorsitzende der Parlamentariergruppe stehe ich für Dialog und klare Worte, mit den unterschiedlichsten und schwierigsten Gesprächspartnern im In- und Ausland.“ Allerdings werde „mit einem solchen Vorgehen erneut und deutlich eine Grenze überschritten“.

Viele ihrer Abgeordnetenkollegen äußerten sich noch sehr viel kritischer. Als absolut unerträglich bezeichnete SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann das Vorgehen: „Die türkische Regierung muss dafür sorgen, dass diese Bespitzelung sofort aufhört.“ Es mache ihn „fassungslos, mit welcher Radikalität die türkische Regierung daran arbeitet, das Verhältnis zu Deutschland zu verschlechtern“. Präsident Erdogan gehe weit über das hinaus, was man akzeptieren könne, so Oppermann weiter: „Er scheint keinerlei Interesse mehr an einer Partnerschaft mit Deutschland zu haben.“ Für die SPD rief er Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu auf, den Vorgang mit klaren Worten zu verurteilen. Merkels Sprecher wollten sich unter Verweis auf das seit Dienstag laufende Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts in Karlsruhe jedoch am Mittwoch nicht äußern.

Linke fordert Ende der Partnerschaft

Der Vorsitzende des Innenausschusses , der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling, forderte unterdessen eine lückenlose Aufklärung der „Spionagetätigkeiten“ und Konsequenzen daraus: „Es ist gut, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufgenommen hat, die Vorfälle müssen nun konsequent strafrechtlich verfolgt werden – gegebenenfalls muss dann auch vom Instrument der Ausweisung Gebrauch gemacht werden.“ Seine baden-württembergische Fraktionskollegin Nina Warken verwies darauf, dass „die Gülen-Bewegung bei uns nicht als extremistisch und terroristisch eingestuft ist, weshalb die deutschen Behörden in diesem Fall auch keine Amtshilfe leisten dürfen und werden“. Die Behörden müssten nun „zügig die Opfer der türkischen Bespitzelung zügig warnen“.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bezeichnete es in diesem Zusammenhang als „fahrlässig, dass die Bundesregierung nicht einmal dafür gesorgt hat, dass all die Personen auf der Liste des türkischen Geheimdienstes informiert wurden, obwohl diese massiv gefährdet sind“. Für Bartsch ist es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt: „Die Bundesregierung muss die sicherheitspolitische Partnerschaft mit dem Autokraten Erdogan aufkündigen.“