„Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft“: 19 Millionen Deutsche joggen regelmäßig. Aber taugt der Sport als Allheilmittel auf dem Weg zu Glück, Erfolg und einer besseren Karriere?

Stuttgart - Es ist so einfach. Den rechten Fuß nach vorn setzen, dann den linken. Das Tempo erhöhen. Und immer weiter einen Fuß vor den anderen. Nach kurzer Zeit hat man seinen Rhythmus gefunden. Wenig später geht es wie von selbst. Es ist, als gleite man dahin. Glückshormone werden ausgeschüttet: Endorphine, Dopamin. Auch das Hormon der Gelassenheit: Serotonin. Und nach einer Weile stellt sich bei vielen sogar ein besonderes Hochgefühl ein: das Runner’s High.

 

Andreas Butz genießt diese Gemütslage andauernd. Und er hat es sich zur Aufgabe gemacht, so vielen Menschen wie möglich auch diesen Genuss zu ermöglichen. Der 47-Jährige aus Euskirchen ist einer der bekanntesten Laufexperten Deutschlands. Er hat zahlreiche Bücher zu diesem Thema geschrieben, leitet Laufseminare und tourt als Motivationstrainer und Vortragsredner durchs Land. Für ihn ist Laufen „die gesündeste Sucht der Welt“. Wenn Butz seine Zuhörer von den Vorteilen des Laufens überzeugen will, reicht ihm stets eine „Jokerfrage“, wie er sagt: Wie oft haben Sie sich nach dem Laufen besser gefühlt als vorher? „Alle antworten: jedes Mal.“

„Laufen trägt zum Wohlbefinden bei“

Da kann Gunter Gebauer nur zustimmen. Der Berliner Sportphilosoph dreht selbst regelmäßig im Grunewald seine Runden. „Laufen trägt zum Wohlbefinden bei. Da bin ich völlig unideologisch“, sagt der 69-Jährige. „Für mich ist es meditativ. Und wenn ich leichte Sorgen habe, geht es mir nach dem Laufen deutlich besser.“

Wie wunderbar dieser Sport also ist. Sogar Goethe sagte einst: „Besser laufen als faulen.“ Und was er alles vermag: wir bewegen uns nicht nur, sondern fühlen uns auch super dabei. Eine aktuelle Umfrage der Universität Mainz ergab: 19 Millionen Deutsche laufen, also ein Viertel der Bevölkerung. Aber taugt das Laufen als Allheilmittel? Bringt es uns nicht nur Fitness, sondern auch Glück, Erfolg und eine bessere Karriere? Andreas Butz antwortet auf all diese Fragen mit: Ja. Gunter Gebauer entgegnet: Nein.

Dass die Menschen das Laufen als Zauberformel für sich entdeckt haben, schließt Butz vor allem aus einem Fakt: immer mehr tun es. Er erklärt diesen Boom mit den schier unbegrenzten Lösungen, die dieser Sport biete. Und er hat dafür einige Argumente parat: Läufer leben im Durchschnitt sechs Jahre länger, sie beugen Krankheiten vor, sie bauen Stress ab. Überhaupt sei es für die Psyche extrem wertvoll, sagt Butz. Und natürlich für noch viel, viel mehr. Männer zum Beispiel, betont er, würden nach dem Laufen besser schlafen.

„Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft“

Um zu verdeutlichen, was das Laufen überdies noch so attraktiv mache, bedient sich Butz bei dem legendären tschechischen Marathon-Olympiasieger Emil Zatopek: „Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.“ Soll heißen: „Wir sind Lauftiere. Wir reagieren darauf eben überaus positiv“, sagt Butz. Und ein weiterer Vorteil dieses Sports liegt für ihn ebenfalls auf der Hand: er ist extrem simpel und billig. Man benötigt kein Spielfeld, keine Mitspieler und keine Spielgeräte. Gute Laufschuhe bekommt man schon für rund 100 Euro, ein T-Shirt und eine kurze Hose liegen bei jedem im    Schrank – mehr braucht man nicht, um loszulegen. Butz empfiehlt, das eigene Laufen mit einem Ziel zu verknüpfen, etwa der Teilnahme an einem Rennen, und dann allen davon zu erzählen. So bleibe man am besten dran.

Gebauer sieht all diese Punkte nicht so euphorisch. Für ihn geht die Lauf-Begeisterung einher mit der „Aufwertung des Körperlichen“ in der modernen Gesellschaft. „Von den Menschen wird erwartet: sie müssen schlank sein, fit und jung aussehen und asketisch leben“, sagt er. „All das gehört für viele zu einem erfolgreichen Lebensstil.“ Und es werde begleitet vom Zurschaustellen der eigenen Leistungen. Was Butz Motivationshilfe nennt, beschreibt Gebauer also als etwas Unerlässliches, um sich gegenüber seinen Mitmenschen gut zu präsentieren.

Auch der leichte und günstige Zugang zum Laufen könne aus Sicht des Sportwissenschaftlers nicht nur als Vorteil betrachtet werden. „Es wird andauernd hervorgehoben, dass das Laufen doch für jeden möglich ist. Alle, die es trotzdem nicht tun, werden so unter Druck gesetzt: nicht mal etwas, das nichts kostet, tust du“, sagt Gebauer. Dabei seien die psychischen Kosten enorm: Überwindung, Selbstdisziplin und Ehrgeiz. Für Gebauer ist das Laufen vor allem ein Training im Überwinden. Er hat dafür ebenfalls ein knackiges Zitat parat: Pierre Bourdieu, einer der angesehensten französischen Soziologen, habe das Laufen als „Strukturübung“ bezeichnet. Wenn man es schafft, wisse man, dass man auch andere Dinge durchziehen könne.

Genau diesen Aspekt betont Andreas Butz, wenn er das Laufen als Motor für persönlichen Erfolg darstellt. „Laufen schult auch die Selbstführung, die Willenskraft, die Disziplin und die Ausdauer“, sagt er. „Solche Eigenschaften helfen natürlich auch bei der Karriere.“ Und dann verweist er auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach von 2006. Demnach verdienen Menschen, die laufen, mehr als jene, die nicht laufen. „Ein Zusammenhang muss also da sein“, sagt Butz. Der Widerspruch Gebauers kommt sofort: „Da wird doch eine Kausalität konstruiert. Wenn der Sport als Mittel zum sozialen Aufstieg missbraucht wird, mindert man die Freude daran.“

Noch ist die Freude am Laufen ungebrochen. Noch steckt es in einer Phase der Überhöhung. Doch bald wird ein neuer Sport kommen, der uns Glück verspricht. Es ist so einfach.