Ob Hotdog, Einzelhandel, Mittagstisch oder ein komplettes veganes Restaurant: Der Wunsch nach einer Ernährung ohne tierische Produkte liegt im Trend. Ein Streifzug durch das vegane Stuttgart.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Setzt man sich mit der richtigen Ernährung auseinander, begibt man sich sehr schnell auf dünnes Eis: „Fleisch ist mein Gemüse“, postulieren die einen und statten dem neu eröffneten Restaurant Meatery in Stuttgart-Mitte einen Besuch ab, um dort 70 Euro in den Trend des Dried Aged Beefs zu investieren. Das wiederum finden Vegetarier eher unschön und beschimpfen die StZ-Gastrokritikerin im Netz, weil die ihre Extra-Portion Fleisch auf dem Teller so schlecht nicht fand. Begibt man sich dagegen auf vegane Spurensuche in Stuttgart, melden sich besorgte Kollegen, die darauf verweisen, dass der komplette Verzicht auf tierische Produkte erwiesenermaßen ungesund sei. Und Veganer seien überdies eine Handvoll Dogmatiker, die ihre Ernährungsphilosophie anderen aufzwingen wollen.

 

Zumindest letzteres ist längst nicht mehr der Fall. Der Verzicht auf tierische Produkte liegt auch in Stuttgart voll im Trend. 2011 hat in Bad Cannstatt Stuttgarts erstes veganes Restaurant eröffnet, das Coox & Candy. 2012 legte schließlich Katharina Bretsch nach. Ihr veganes Kochbuch „Kochen ohne Tiere“, erschienen im Christian Verlag, wurde ob der hübschen Gestaltung prämiert. Auf ihrem Blog www.jumi-jami.blog.de zelebriert sie „vegane Küchenexperimente“. Bretsch – zwei Nasenringe, Lippenpiercing und tätowierter Bleistift am linken Zeigefinger – kocht außerdem im Café Stella in der Hauptstätter Straße in S-Mitte.

Das vegane Angebot in Stuttgart wird immer größer

Die Absolventin der Stuttgarter Kunstakademie umreißt an einem Stehtisch im voll besetzten Restaurant, wie veganes Leben in Stuttgart funktioniert: „Das Angebot ist deutlich besser geworden“, sagt Bretsch. In der gutbürgerlichen schwäbischen Küche sei es nach wie vor schwierig, als Veganer auf seine Kosten zu kommen. „Dafür liefern asiatische oder afrikanische Restaurants ein reichhaltiges Angebot“, so Bretsch. Von missionarischem Eifer ist Bretsch weit entfernt: „Den Geruch von gebratenem Fleisch finde ich sogar ziemlich gut.“ Zwischendrin habe sie ihre vegane Ernährung einmal für zwei Jahre unterbrochen. „Mein Körper sagt mir sehr genau, was er braucht. Damals hatte ich Träume von Käse und schreckliche Visionen“, erzählt sie. Schuld war eine Köchin in der Toskana, von der Bretsch mit köstlicher Käse-Pasta gemästet worden war.


Veganes Stuttgart auf einer größeren Karte anzeigen

Unsere Karte zeigt die Standorte einiger veganer Restaurants, Bars und Supermärkte in Stuttgart.

Ortswechsel: Florence Shirazi verkauft Anfang Juli Hotdogs beim Marienplatzfest. Es gibt zahlreiche Imbissstände. Die Schlange vor Shirazis Bude ist aber am längsten. Die voll tätowierte 40-Jährige, die gemeinsam mit Melanie Ammer den Klamottenladen Flaming Star im Gerberviertel betreibt, produziert Hotdogs der besonderen Art. Ihre „Vegan Gourmet Hotdogs“ der Marke Heiße Möhre verkaufen sich wie geschnitten Brot. Shirazi empfiehlt die „dänische Variante“ mit Röstzwiebeln und scharfer Soße.

Vegane Hotdogs als Kassenschlager auf dem Marienplatzfest

Das Ergebnis ist vollumfassend zufriedenstellend: Das Brötchen ist so kätschig, wie es sein soll, das Fleischersatzprodukt in Wurstform stinkt geschmacklich gegenüber der Originalwurst keinen Deut ab, und die Schärfe der Soße sorgt für eine angenehme Wachheit, die sich vom Gaumen langsam Richtung Hirn ausbreitet.

Auch Florence Shirazi ist keine Missionarin. Zwar verzichtet die Stuttgarterin mit persischen Wurzeln bei ihrem Modelabel Mademoiselle Yéyé auf tierische Produkte. Sie bestätigt das, was auch Katharina Bretsch sagt: „Das Angebot für Veganer wird immer besser. Der Vegan Street Day war in Stuttgart dieses Jahr fast doppelt so groß wie im vergangenen Jahr“, sagt Shirazi, und kümmert sich wieder um die immer noch viel zu lange Schlange vor ihrem Imbisswagen.

Veganer Mittagstisch im Rotlichtviertel

Der nächste Ortswechsel führt uns in die Champagner-Bar Fou Fou im Stuttgarter Rotlichtviertel. Hier findet sich der vielleicht exotischste Beleg für den veganen Vormarsch. Abends trifft sich die Jeunesse dorée im Fou Fou und schlürft ausgesuchte Cocktails. Tagsüber gibt es hier seit kurzem einen veganen Mittagstisch. Kai Binder, der das Lokal gemeinsam mit Pascal Rémond und Frank Mangold betreibt, verweist auf ein verändertes Konsumverhalten hin. „Ich selbst esse seit kurzem wegen der Überfischung der Meere kaum noch Fisch und Fleisch sowieso seit langem nur noch in homöopathischen Dosen.“

Der Mittagstisch wird gut angenommen: Im neu gestalteten Außenbereich des Fou Fou sitzen eine Dame älteren Semesters, eine Schwangere und zwei Geschäftsleute friedlich nebeneinander. Auf der Karte steht ein veganer Burger, der aus Bohnenpaste besteht und ausgezeichnet schmeckt, sowie Brotsalat und andere kleine Gerichte. „Mit unserem veganen Mittagstisch wollen wir das Viertel auch tagsüber aufwerten“, sagt Binder zum Abschied.

Auch in der gehobenen Gastronomie Stuttgarts ist der Trend zur veganen Ernährung angekommen. „Dabei handelt es sich aber nicht um einen Trend, sondern um ein Umdenken“, korrigiert Alexander Körle. Im Restaurant Körle und Adam wird mittlerweile zu 95 Prozent vegan gekocht. „Es hat ein riesiger Wandlungsprozess stattgefunden“, ergänzt Thomas Adam. Früher stand bei Körle & Adam auch Fleisch auf der Karte, dann stellten die Betreiber auf vegetarisch um. „In der Milchwirtschaft haben die Tier aber unter noch schlimmeren Bedingungen zu leiden“, sagt Thomas Adam. Daher findet sich jetzt nur noch in Ausnahmefällen ein Käse auf der Karte der Feuerbacher Feinschmecker-Adresse. Der Nachfrage hat es nicht geschadet – im Gegenteil. Ohne Reservierung geht hier nichts mehr.

Zwei vegane Einzelhändler haben in Stuttgart eröffnet

Vegane Restaurants, Hotdogs und Mittagstische: In der Gastronomie boomt der Verzicht auf tierische Produkte. Jetzt zieht auch der Einzelhandel nach. Gleich zwei Läden, die sich komplett auf vegane Produkte konzentrieren, haben in den vergangenen Monaten in Stuttgart eröffnet: die Kichererbse im Stuttgarter Süden und Veganpur im Stuttgarter Norden.

Anfängerfrage: Was unterscheidet einen veganen Shop von einem stinknormalen Lebensmittel-Geschäft? „In einem veganen Laden gibt es Lebensmittel, die keinerlei tierische Bestandteile enthalten oder produktionsbedingt beinhaltet haben. Für uns war zusätzlich noch wichtig, dass die Firmen, die die Lebensmittel herstellen, keine Tierversuche durchführen oder Hersteller unterstützen, die das machen“, erklärt Nora Hoffrichter, die die Kichererbse gemeinsam mit Helga Fink betreibt.

Beide haben sich vor zweieinhalb Jahren entschieden, vegan zu leben. Veganen Einzelhandel kannten sie bereits aus anderen Städten. Da es in Stuttgart noch keinen gab, entschieden sie sich, einfach selbst einen zu eröffnen: „Die Bio-Läden und Supermärkte im Stuttgarter Raum haben inzwischen zwar auch vegane Produkte im Angebot, doch wir fanden es sehr angenehm, in einen Laden zu kommen, in dem man als Veganer einfach alles kaufen kann, ohne erst die Zutatenlisten durchzulesen“, so Helga Fink.

Was sie an ihrem Ladengeschäft am meisten freut: „Neben den Veganern und Vegetariern, die zu uns in den Laden kommen, fangen auch viele andere Menschen an, sich mit ihrer Ernährung und ihrer Lebensweise auseinander zu setzen.“