Ein Bestechungsverdacht hat für einen Daimler-Zulieferer schwere Folgen: Aufträge bleiben aus, Jobs fielen weg. Nun zieht sich der Chef zurück, die Gruppe wird umbenannt. An die Stelle des Familiennamens des Gründers tritt ein neutraler Kunstname.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Abschiedsbrief des Chefs an die Belegschaft blieb seltsam vage. Man habe „eine bewegte Zeit erlebt“, die „durch viel Unsicherheit geprägt war, durch viele Veränderungen und viele Fragen“ – nämlich solche „nach der Zukunft und der Perspektive der Unternehmensgruppe“. Auch für ihn selbst, als Gesellschafter und „ganz persönlich als Mensch“, sei „diese Zeit nicht einfach gewesen“. Aus Verantwortung für Firma und Mitarbeiter habe er nun entschieden, sich „aus der Führung der Firmengruppe komplett zurückzuziehen“. Dies werde „dem Unternehmen helfen, zu alter Stärke zurückzufinden“. Seine Aufgaben übernähmen zwei der bisherigen Geschäftsführer, die sein „vollstes Vertrauen“ genössen. Mit der neuen Führung habe die Gruppe „ganz neue Möglichkeiten“, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Der letzte Satz las sich fast ein wenig sentimental: „Es hat mir immer viel Freude bereitet, gemeinsam mit Ihnen Ideen zu verwirklichen.“

 

Den eigentlichen Grund des Rückzugs benannte der langjährige geschäftsführende Gesellschafter nicht: Es ist ein Korruptionsverdacht, der auf ihm persönlich und auf der in der Region Stuttgart ansässigen Firmengruppe lastet, die innovative Lösungen im Bereich der Umwelttechnik anbietet und an mehreren Standorten einst 500 Mitarbeiter beschäftigte. Auf namentliche Nennung bitten ihre Anwälte, zum Schutz der Arbeitsplätze, „dringend zu verzichten“. Der Schaden ist schon groß genug, seit der Daimler-Konzern den Zulieferer 2010 bei der Staatsanwaltschaft anzeigte, alle Aufträge sperrte und Ermittlungen unter anderem wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr anliefen.

Die Firmengruppe erhält einen neuen Namen

Dieses Verfahren sei auch der Grund, weshalb der Chef „alle operativen Funktionen“ abgegeben habe, bestätigen die Anwälte. Nachdem es voriges Jahr durch Medienberichte bekannt wurde, sei es nämlich „zu erheblichen Beeinträchtigungen der Beziehungen zu Kunden und Mitarbeitern“ gekommen. Aufgrund der inzwischen strengen Regeln für ein sauberes Geschäftsgebaren, so ihre Sorge, könnten bestehende Aufträge gekündigt werden oder neue Bestellungen ausbleiben.

Um den Neubeginn zu unterstreichen, wird die Firmengruppe nun sogar umbenannt. An die Stelle des Familiennamens des Gründers tritt ein neutraler Kunstname. Wer die alte Internetseite aufruft, wird auf eine neue umgeleitet, die sich noch „im Umbau“ befindet. Im Handelsregister ist die Umfirmierung – eine aufwendige Angelegenheit – bereits vollzogen. Sie habe „mit den laufenden Ermittlungen nichts zu tun“, behaupten die Anwälte, sondern sei die Folge einer geplanten Neuausrichtung. Intern und gegenüber Kunden wurde der Namenswechsel indes mit dem „Rückzug des Gesellschafters“ begründet, der wiederum wegen des Verfahrens erfolgte.

Daimler hatte die Staatsanwaltschaft eingeschaltet

Noch ist der Korruptionsvorwurf, den die Firmengruppe bestreitet, nicht bewiesen oder Anklage erhoben. Doch der Fall zeigt exemplarisch, welch weitreichende Folgen für ein Unternehmen schon ein konkreter Verdacht haben kann. Aufgebracht wurde dieser einst durch einen Informanten, der sich an Daimler wandte. Dort wurden die Hinweise überprüft und als so stichhaltig angesehen, dass der Konzern die Justiz einschaltete. Seither ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen sechs Personen – den einstigen Chef des Zulieferers, vier Verantwortliche bei Daimler und eine Ehefrau. Es geht um Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, Untreue und Steuerhinterziehung. Bereits 2011 gab es bei mehreren Beschuldigten Durchsuchungen.

Der Verdacht laut einer Behördensprecherin: Bei Daimler sei der Zulieferer gegenüber anderen, günstigeren Mitbietern bevorzugt worden, die zuständigen Mitarbeiter hätten sogar wissentlich überhöhte Angebote und folglich auch aufgeblähte Rechnungen akzeptiert. Die Gegenleistung soll unter anderem in Aufträgen für eine Werbeagentur erfolgt sein, die einst der Ehefrau des Projektleiters bei dem Autokonzern gehörte. Diese habe Rechnungen über Dienstleistungen für den Zulieferer gestellt, die in Wirklichkeit nie erbracht worden seien. Auch den Kauf einer Villa und einen gut dotierten, womöglich fingierten Beratervertrag schauen sich die Ermittler genauer an. Der nach wie vor bei Daimler beschäftigte Projektleiter verwies im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung auf seine Anwälte, die auf mehrere Anfragen jedoch nicht reagierten.

Die Anwälte beklagen eine „Anschwärzungskampagne“

Für den Zulieferer handelt es sich um eine „gezielte Anschwärzungs- und Verleumdungskampagne“ eines früheren Mitarbeiters. Man gehe davon aus, dass sich die Vorwürfe „vollumfänglich entkräften lassen“, teilten die Anwälte mit. Belastende Aussagen hätten sich bereits als falsch erwiesen, gegen den Urheber gehe man rechtlich vor. Doch die Strafanzeige wegen Falschaussage scheint die Staatsanwälte wenig zu beeindrucken, sie wundern sich dem Vernehmen nach eher über das aggressive Vorgehen der Verteidiger. Die Angaben des zentralen Zeugen hätten sich durch die Ermittlungen weitgehend bestätigt, sagt die Sprecherin. Im vorigen Sommer forderten die Anwälte denn auch vergeblich die „kurzfristige Einstellung“ des Verfahrens. Begründung: die Situation sei für ihren Mandanten „existenziell bedrohlich und nicht länger hinnehmbar“.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass die Firmengruppe wegen Korruption ins Visier der Justiz gerät. Bereits 2007 wurde der Seniorchef und Vater des jetzt Beschuldigten wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, wie die Staatsanwaltschaft bestätigte. Bestochen wurde damals ein junger, bei Daimler frisch eingestellter Ingenieur, der sich von zwei Firmenchefs für Aufträge belohnen ließ – unter anderem mit einem Motorrad der Marke Harley Davidson und einer Berlinreise samt Begleitdame. Vermutungen in der Firma, der Vater habe damals Verantwortung für Taten des Sohnes übernommen, nennen die Anwälte „unzutreffend“. Genauso falsch wäre es ihnen zufolge, eine fortgesetzte Praxis zu unterstellen. Die beiden Vorgänge hätten nichts miteinander zu tun. Das sehen die Ermittler etwas anders: Einer der damals Beschuldigten, gegen den das Verfahren eingestellt wurde, spiele auch jetzt wieder eine Rolle. Dabei hat sich die Firmengruppe zwischenzeitlich einen strengen Kodex gegeben: Man verzichte lieber auf ein Geschäft, heißt es darin, als gegen Gesetze zu verstoßen.

Auftragssperre von Daimler kostet über 100 Jobs

Mindestens ebenso wie die Ermittlungen machen der Firmengruppe die Konsequenzen durch Daimler zu schaffen. Sämtliche Unternehmen der Gruppe seien bei dem Autokonzern „mit sofortiger Wirkung gesperrt“ worden, schrieben die Anwälte bereits 2011 drohend an den Hauptzeugen. Jeden Tag habe man dadurch mehr als 80 000 Euro Umsatzausfall, übers Jahr seien es 30 Millionen Euro. Die Weiterbeschäftigung von 120 bis 150 Mitarbeitern sei „akut gefährdet“. Das Risiko realisierte sich. Wegen der Sperre durch Daimler, klagten die Verteidiger Mitte 2012 bei der Staatsanwaltschaft, „musste der Mitarbeiterstamm . . . um über 120 Leute reduziert werden“. Aktuell sind von den einst mehr als 500 Jobs noch 350 übrig, also schon 150 verloren gegangen.

Von Daimler selbst gibt es zu der Auftragssperre keine konkreten Auskünfte. Wann und unter welchen Umständen sie wieder aufgehoben werde – dazu äußert sich der Konzern nur vage. „Organisatorische Veränderungen beim Business-Partner werden geprüft“, teilte eine Sprecherin mit. Es komme darauf an, „ob sie dazu geeignet sind, das Fehlverhalten dauerhaft auszuschließen“. Inwieweit man in Kauf nehme, dass unter einem etwaigen Fehlverhalten von Managern alle Mitarbeiter von Zulieferfirmen litten – dazu gab es keinen Kommentar.

Das Schreiben des geschäftsführenden Gesellschafters an die Belegschaft las sich übrigens so, als ob er sich für immer aus der Führung verabschiede. Bei den Anwälten klingt das ein wenig anders: der Rückzug erfolge „bis auf Weiteres“.