In der Werkstatt des Literaturnobel-Preisträgers: Dario Fo hat gerade über Lucrezia Borgia einen Roman fertig gestellt und bereitet jetzt eine Ausstellung über die faszinierende Frau vor.

Mailand - Wer in diesen Tagen in die Mailänder Wohnung von Dario Fo kommt, fühlt sich in die Werkstatt eines Meisters aus der Renaissance versetzt. Dutzende Gemälde stehen an die wenigen Möbel gelehnt, an einigen Staffeleien wird gerade gearbeitet. Mitten im Raum sitzt der 88-jährige Maestro mit einer dunkelblauen Schürze vor einer Leinwand und skizziert eine Szene mit zwei Figuren. Es gehörte zum Schaffensprozess von Dario Fo, nicht nur Texte zu schreiben und auf der Bühne zu stehen, sondern auch zu malen. Der Absolvent der Brera-Kunstakademie macht sich dabei gerne über sich selber lustig, wenn er sich „als Maler einen Profi und als Schauspieler einen Amateur“ nennt. Um ihn herum arbeiten junge Frauen, sie gestalten Hintergründe oder füllen Flächen mit Temperafarben aus.

 

Sara, Jessica und die anderen haben auf der Kunstakademie und einige auch auf der Schauspielschule studiert. Sie sind Schülerinnen des alten Künstlers und zugleich Mitarbeiterinnen. Sie organisieren seine Auftritte, wie er stolz erzählt, „ohne sie könnte ich nichts machen“. Wie vor einigen Tagen eine Aufführung von „Lo Santo Jullare Francesco“, eine Bühnenshow über den „heiligen Gaukler“ Franziskus von Assisi vor 2800 Zuschauern im Mailänder Teatro Arcimboldi.

Uneheliche Tochter des Papstes Alexander VI.

Die Bilder, die gerade die helle, von Licht durchflutete Wohnung zum Atelier machen, gehören zum Thema der jüngsten Arbeit von Dario Fo. Dabei geht es nicht mehr um den heiligen Franz, sondern um die verrufene Lucrezia – Lucrezia Borgia. „La figlia del papa“ („Die Tochter des Papstes“) lautet der Titel eines Prosatextes, der gerade im Mailänder Verlag Chiarelettere erschienen ist. Nach Auskunft des Verlegers handelt es sich um den „ersten Roman“ des Literaturnobelpreisträgers. Erzählt wird das Leben der unehelichen Tochter des Skandal umwobenen Papstes Alexander VI. und Schwester des skrupellosen Heerführers Cesare Borgia. Die bildhübsche Lucrezia Borgia (1480–1519) war mehrfach verlobt, drei Mal verheiratet und hat wohl vielen Männern den Kopf verdreht. Dario Fo sieht sie vor allem als ein Opfer der Familienpolitik der Borgias. Vater und Bruder haben ihr „schlimm mitgespielt“, und sie für ihre Geschäfte und Machtinteressen ausgenutzt.

Die Nachwelt hat aus Lucrezia eine Femme fatale in einer von Korruption durchsetzten Renaissancewelt gemacht und ihr sogar Inzest nachgesagt. Das reicht vom englischen Dramatiker John Ford mit seinem Barockdrama „Schade, dass sie eine Hure ist“ über Victor Hugos Tragödie „Lucrezia Borgia“ und Gaetano Donizettis gleichnamige Oper bis zu jüngsten Fernsehproduktionen. Ausgerechnet Dario Fo versucht jetzt eine Ehrenrettung.

Briefwechsel mit einem Kardinal

Im Hintergrund erscheint das Italien der Renaissance und den großen Darstellern der Zeit von Raffael bis Ariost, Leonardo bis Kopernikus. Mit dem Kardinal und Humanisten Pietro Bembo führte Lucrezia einen langen Briefwechsel. Das war eine Zeit der Hochkultur, in der auch zynische Machtpolitiker nicht umhinkonnten, sich um die Künste und die Wissenschaft, um Künstler und Gelehrte zu kümmern. Nach Fo, der gründlich die Quellen geprüft hat, soll es sogar zu einem Treffen des Borgia-Papstes mit Kopernikus gekommen sein, um dessen bahnbrechende Theorien und die Zukunft der Kirche zu diskutieren.

Die im Buch beschriebenen Renaissancefeste, das freizügige erotische Klima, die Korruption, all das lässt natürlich an die Gegenwart und an die vergangenen zwanzig Jahre in Italien und die Berlusconi-Ära denken. Dario Fo lacht verschmitzt: wenn der Leser den Eindruck habe, dann sei das aber nicht beabsichtigt gewesen. „Und überhaupt Berlusconi: hätten er und die Seinen doch bloß das Kulturverständnis der damaligen Zeit gehabt!“ Heute, sagt der Autor, der zum Gespräch eine dunkle Brille aufgesetzt hat, weil er seine Augen vor zu viel Licht schützen muss, herrsche in Italiens politischen Kreisen absolute intellektuelle Mittelmäßigkeit und die Kultur würde mit Füßen getreten.

Eine sozial engagierte, vorbildliche Landesmutter

Lucrezia bricht schließlich aus der Logik der Intrigen und der Korruption aus, als ihr Vater sie mit dem Herzog Alfonso d’Este verheiratet, der über einen Kleinstaat zwischen Ferrara und Modena herrscht. Das ist wieder eine Ehe, die gegen ihren Willen verabredet wird. Doch nimmt sie nach anfänglichem Widerstand die Rolle der Herzogin von Ferrara an und zeigt sich als sozial engagierte, vorbildliche Landesmutter, inspiziert Gefängnisse und lässt Fehlurteile aufheben. Sie kümmert sich um die Armen, gründet eine Sozialbank, hilft beim Erdbeben und unterstützt den Wiederaufbau der Ortschaften. „Das war eine Frau die Macht hatte“, sagt Dario Fo, „weil sie sich auf die Liebe des Volkes stützen konnte.“

Für seine Protagonistin empfindet er viel Sympathie und besonders als soziale Kämpferin trägt sie im Buch stellenweise Züge der Schauspielerin und Frauenrechtlerin Franca Rame, die kürzlich verstorbene Ehefrau des Autors. Ob man den Text wirklich einen Roman nennen kann, sei dahingestellt. Er liest sich wie eine ausführliche, mit Ironie und Witz gespickte Handlungsstruktur eines typischen Theaterstückes von Dario Fo. In jeder Zeile glaubt man, seine Stimme zu hören. Das Buch habe den „Zuschnitt eines Romans“, erklärt der Autor, sei jedoch „mit der Technik des Theaters“ geschrieben, mit überraschenden Szenenwechsel und lebendigen Dialogen.

Die Skizzen und Bilder, die zum Thema entstanden sind, gehen teils auf Vorlagen berühmter Gemälde aus der Renaissance zurück wie das Porträt der Lucrezia Borgia als Flora von Bartolomeo Veneto, das etwa das Titelblatt des Buches ziert. Teils zeigen sie auch frei erfundene Szenen. Einige der Bilder sind im Buch abgedruckt. Doch es werden, wie man in der Wohnung sehen kann, immer mehr. Die sollen demnächst auf einer Ausstellung in Ferrara gezeigt werden, wo Lucrezia 1519 im Alter von 39 Jahren am Kindbettfieber starb und wo sie begraben liegt.