Klaus Herrmann vom Stadtarchiv hat zwei andere Orte namens Gerlingen besucht. Eindrücke eines Reisenden.

Gerlingen - W enn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. So schrieb Matthias Claudius – und das bestätigt sich jetzt wieder, wenn Klaus Herrmann vom Gerlinger Stadtarchiv über seine Reise nach Gerlingen berichtet. Nein, er ist nicht vom Untergeschoss des Rathauses bis ans andere Ende der Stadt gereist, was er zu Fuß erledigen könnte. Er setzte sich ins Auto und fuhr nach Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es gleich zwei Ortschaften mit dem Namen Gerlingen – die aber beide viel kleiner sind als Gerlingen im Strohgäu mit 19 738 Einwohnern.

 

52 Einwohner, vier Höfe, acht Wohnhäuser – das sind die wichtigen Fakten zum Ortsteil Gerlingen der Gemeinde Ense. Diese hat mit ihren insgesamt 12 000 Einwohnern in 14 Ortsteilen eine Markung von 51 Quadratkilometern. Gerlingen ist einer der kleinsten Ortsteile. Es liegt nicht einmal einen halben Kilometer südlich der Autobahn 44, die Dortmund mit Kassel verbindet. Die nächsten größeren Nachbarstädte der Gesamtgemeinde sind Unna im Westen und Soest im Osten. Zwei Bushaltestellen, immerhin, gibt es: Gerlingen und Gerlingen-Grund. Drunten im Grund haben einst die Knechte gewohnt, oberhalb lagen die Höfe, wo sie jeden Tag zur Arbeit hingingen. Heute hält an Schultagen sechsmal am Tag ein Bus. Ansonsten, Originalton Klaus Herrmann: „Keine Schule, kein Laden, keine Kneipe.“ Dafür fruchtbare Lössböden und viele Windräder – überall in der Gegend, in Gerlingen aber nicht. Und drei Straßen namens Marwicker Straße, Im Loh und Im Grund.

Einen bestellten Bagger einfach abgestellt

Was hat den Gerlingen-Spezialist aus Württemberg dort hingetrieben? Knapp 20 Jahre nach seinem ersten Besuch dort habe er sich mal wieder umsehen wollen, erzählt Herrmann. Geredet habe er mit dem Bürgermeister, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden der Gesamtgemeinde, also quasi einem Kollegen (Herrmann übt dieses Amt in Ludwigsburg aus) und einer Frau Kaiser. Ergebnis: man freute sich über den Besuch, und die Dame erzählte die alte Geschichte von dem Lastwagenfahrer, der einst bei einer Firma in 70839 Gerlingen einen nagelneuen Bagger abliefern sollte, in Ense-Gerlingen landete und seine Ladung dort abstellte. Bis ihn der schwäbische BauunternehmerWochen später aufspürte und abholte. Jedenfalls: „Dieses Gerlingen ist für die Gesamtgemeinde völlig unbedeutend.“

Es gab schon Kontakte ins Strohgäu

Nächste Station, 60 Kilometer südlich: Gerlingen, ein Ortsteil der Gemeinde Wenden, gelegen am Autobahnkreuz Olpe-Süd der A 4 und der A 45. Im Gegensatz zum 52-Einwohner-Gerlingen sei dieser Ort nie selbstständig gewesen, und man hatte schon einmal mehr Kontakte ins Strohgäu – über Feuerwehr und Musikverein. „Aber das ist eingeschlafen“, sagt Herrmann. Der heutige Bürgermeister sei als 15-Jähriger mit der Feuerwehr in Gerlingen im Kreis Ludwigsburg gewesen. Der Bericht über die Infrastruktur in dem 2600 Einwohner zählenden Ortsteil liest sich ermutigender als im 52-Einwohner-Gerlingen: 2000 Arbeitsplätze, Apotheke, Metzger, Bäcker, Bank, Getränkeladen am Ort, Fußballverein in der Landesliga. Der Quadratmeter Bauland für ein Wohnhaus kostet 100 Euro – ein Traum für hiesige Verhältnisse. Und in der Ortsdurchfahrt sind täglich 22 000 Autos unterwegs.

Herrmann trieb private Erinnerung dorthin. Als 15-jähriger Schüler habe er 1974 in Hans Rosenthals Radiosendung „Allein gegen alle“ mitgemacht und es dabei mit der Bevölkerung dieses Gerlingen zu tun gehabt. „Ich bin auf den Spuren alter Zeit gereist, und habe Parteifreunde getroffen, die ich vom Bundesparteitag kenne.“ Komplett Neues habe er eigentlich nicht mitbekommen, aber zwei Dinge seien ihm aufgefallen: „Beide Orte sind in einem sehr stark ländlichen Raum, und es gibt dort ein ganz anderes Miteinander.“ Er habe sich vorgenommen, die Namensschwesterorte hierzulande bekannter zu machen. Und Theodor Fontane liefert eine weitere Erkenntnis zum Reisen: „Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat haben.“