Die SPD will einem Nato-Awacs-Einsatz von Bundeswehrsoldaten nur zustimmen, wenn die Türkei ihr Besuchsverbot für Abgeordnete aufhebt. Damit gerät Kanzlerin Merkel in Zugzwang.

Berlin - Die SPD stellt wegen des Streits über die Besuchsmöglichkeiten von Bundestags-Abgeordneten bei deutschen Soldaten im türkischen Incirlik die Zustimmung zu dem geplanten Nato-Awacs-Einsatz in Frage, der am Wochenende auf dem Nato-Gipfel in Warschau beschlossen wurde. Die Aufklärungsflugzeuge, die in der Regel zu einem Drittel mit Bundeswehrsoldaten besetzt sind, sollen von türkischem Boden aus starten, um die internationale Allianz gegen den Terror der IS-Milizen zu unterstützen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in Warschau dafür grünes Licht gegeben, obwohl ein Gespräch mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan über das Besuchsverbot für Abgeordnete ergebnislos verlief.

 

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, hat für diese Zusage keinerlei Verständnis: „Ich war mehr als erstaunt, dass die Kanzlerin in Warschau erklärt hat, sie möchte für einen in der Türkei stationierten Awacs-Einsatz der Nato ein Mandat des Bundestags einholen“, sagte er dieser Zeitung. Er halte es „für ausgeschlossen, dass wir Awacs mit deutscher Beteiligung mandatieren, wenn wir deutsche Soldaten in der Türkei nicht besuchen können“, so Arnold. Die Opposition sieht Merkels Zusage ohnehin kritisch. „Ich kann mir eine Zustimmung nicht vorstellen, wenn den Abgeordneten dauerhaft der Zugang verwehrt wird“, sagte Tobias Lindner, Verteidigungs- und Haushaltsexperte der Grünen, dieser Zeitung.

Soldaten nicht willkommen?

Der Streit schaukelt sich somit immer weiter hoch. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) meldete sich nun zu Wort. In der Süddeutschen Zeitung schloss Lammert den Abzug der deutschen Soldaten aus Incirlik nicht aus, sollte die Türkei stur bleiben. „Vielleicht muss noch einmal verdeutlicht werden, dass der Bundestag dem Einsatz deutscher Soldaten im Ausland grundsätzlich nur zustimmt, wenn sie im Rahmen internationaler Missionen dort gebraucht und willkommen sind“, so Lammert. Jeder müsse wissen, dass die Soldaten „dort, wo sie nicht willkommen sind, nicht dauerhaft bleiben werden.“

Weit weniger diplomatisch äußerte sich SPD-Experte Arnold: „Wir dürfen vor Erdogan nicht einknicken, weil wir sonst Grundprinzipien unserer Parlamentsarmee verletzen würden“. Wenn die Türkei nicht einlenke, „werden wir darauf drängen, dass zügig damit begonnen wird, über eine Alternative nachzudenken, weil wir dann im Dezember das Mandat nicht verlängern können.“ Denkbar sei sogar ein „vorzeitiger Teilabzug“. Auf dem Flughafen in Incirlik sind derzeit sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge und ein Tankflugzeug der Bundeswehr nahe der syrischen Grenze stationiert. Sie sind Teil der internationalen Allianz gegen die IS-Terrormilizen.

Nagelprobe im September

Im Juni hatte die Türkei überraschend eine Reise von Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe untersagt, der in Begleitung mehrerer Abgeordneter die Bundeswehrsoldaten besuchen wollte. Inoffizielle Begründung: die kurz zuvor verabschiedete Armenien-Resolution des Bundestages, in dem die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich vor gut 100 Jahren als Völkermord verurteilt wurden. Offiziell hieß es, Abgeordnete hätten auf dem Militärgelände nichts verloren, Militärs seien hingegen willkommen. Eine Incirlik-Reise von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wenige Tage später und nun auch die jüngste Merkel-Initiative brachten keine Annäherung. Abgeordnete, die im Bundestag den Einsätzen zustimmen müssen, bleiben unerwünscht.

Im September droht der Streit zu eskalieren. Mitglieder des Verteidigungsausschusses planen eine Reise nach Incirlik. Lammert hat diese bereits genehmigt, der deutsche Botschafter in Ankara ist angehalten, die Reisepläne bei der türkischen Regierung anzumelden. Vorgesehen sind neben der Visite der Bundeswehrsoldaten in Incirlik auch politische Gespräche in Ankara und ein Besuch des Nato-Hauptquartiers in Izmir. Bisher hat Ankara noch nicht auf diese Pläne reagiert. „Die geplante Reise von Mitgliedern des Verteidigungsausschusses im September wird eine Nagelprobe sein“, so Lindner.

Für Arnold ist Erdogans bisheriges Verhalten nicht mehr rational nachvollziehbar. „Wenn Awacs nicht kommt, wenn die deutschen Tornados nicht in der Türkei stationiert bleiben, wenn unsere Tankflugzeuge dort nicht mehr verfügbar sind und wenn die geplanten, mit deutschem Geld finanzierten Baumaßnahmen auf dem Flughafen Incirlik ausbleiben, dann bestraft die Türkei nicht uns Abgeordnete, sondern sich selbst und die Allianz gegen den Terror“, so der Verteidigungsexperte: „Das verstehe ich nicht.“