Die Bürgerbeteiligung des Eisenbahn-Bundesamts zur Lärmbelästigung verärgert Anwohner der Schienenstrecke Korntal-Kornwestheim – auch in Zuffenhausen: Eine viel befahrene Strecke ist einfach vom Verfahren ausgeklammert worden.

Neuwirtshaus/Korntal-Münchingen - Zahlreiche Anwohner von Bahnstrecken verschaffen sich derzeit Gehör – doch nicht jeder wird gehört. Denn der Streckenabschnitt von Kornwestheim nach Korntal, der auch durch Zuffenhäuser Gemarkung führt, ist bei der Öffentlichkeitsbeteiligung des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) ausgeklammert worden. Zur Verärgerung von Anwohnern, die sich deshalb beim EBA beschwert haben und mit der Begründung des Amts wenig zufrieden sind. Zu ihrer Verwunderung, denn bei den angegebenen Zugzahlen gibt es deutlich sichtbar erhebliche Differenzen – dabei sind die Werte wichtig, um mögliche Lärmschutzmaßnahmen zu begründen.

 

Das Fehlen der besagten Strecke begründet die Aufsichtsbehörde für die Bahn damit, dass dort jährlich weniger als 30 000 Züge fahren, weshalb sie keine Haupteisenbahnstrecke sei. 7739 Güterzüge pro Jahr würden deshalb nicht berücksichtigt, beklagt sich der Korntaler Ralf Maus von der Agendagruppe Lärm und Verkehr. Zudem endet für das EBA die Strecke an der Gemarkungsgrenze zu Korntal – Züge auf rund 1,3 Kilometern (in der Grafik grau) im weiteren Verlauf bis zum Bahnhof würden damit überhaupt nicht registriert, sondern nur die jährlich 110 Güterzüge zwischen Korntal und Zuffenhausen Bahnhof. „Die Züge überspringen sozusagen diesen Abschnitt“, sagt Maus, der das EBA bislang erfolglos zur Aufnahme in die Öffentlichkeitsbeteiligung aufgefordert hat. Auch die Umweltbeauftragte von Korntal-Münchingen, Angelika Lugibihl, ist mit der Lärmkartierung unzufrieden. „Ich kann das methodisch nicht nachvollziehen.“

Ein Teil der Züge scheint zu verschwinden

Erst hinter dem Korntaler Bahnhof taucht zumindest ein Teil wieder auf: Zu den dort 44 566 Zügen kommen dann aber nur 5767 dazu, und nicht die für den Abschnitt Kornwestheim – Korntal angegebenen 10 514. Unklar ist also, wo knapp 5000 Züge abbleiben. Auch das EBA konnte nach längerer Recherche nur vermelden, dass „tatsächlich nicht alle Züge weiterfahren“.

Zweifelsfrei fest steht dagegen die Belastung. Durchschnittlich 8,5 „rumpelnde und lärmende Güterzüge bei Nacht mit bis zu 80 Dezibel sind unerträglich“, sagt Uwe Held von der Interessengemeinschaft Neuwirtshaus gegen DB-Güterzuglärm. Doch anders als für das Wohngebiet Zuffenhausen-Elbelen gibt es für das Gebiet entlang der Borkumstraße keine Lärmschutzwand, moniert er. Auch habe er keinen Zuschuss für den 30 000 Euro teuren Einbau von Lärmschutzfenstern bekommen. Held überlegt deshalb, wegen des immer stärker werdenden Güterzugverkehrs wegzuziehen.

Das lange Warten auf die Lärmschutzwand

Warum es trotz desselben Abstands der Häuser zu den Gleisen so verschiedene Lösungen gab, ist auch für die Stadt Stuttgart heute nicht mehr nachvollziehbar. Es könnte mit einem Mittelwert zusammenhängen, der Pausen zwischen den Zügen einrechnet, und gerade noch unter dem Lärmsanierungswert liegt, vermutete ein Mitarbeiter des Amtes für Umweltschutz. Das Lärmsanierungsprogramm werden aber immer wieder fortgeschrieben, hieß es weiter. Die Bahnstrecke Renningen–Korntal sei in der aktuellen Liste aufgeführt, die DB Projektbau prüfe eine Erweiterung um Neuwirtshaus. Doch die Prioritätskennzahl sei niedrig, macht der Mitarbeiter wenig Hoffnung.

Wie lange es bis zum Bau einer Lärmschutzwand dauern kann, zeigt auch das Beispiel Korntal. Obwohl von 50 000 Zügen pro Jahr geplagt, könnten die Maßnahmen überhaupt erst in fünf Jahren geplant werden. „Die Stadt ist dazu im Dauergespräch“, sagt Lugibihl. Immer wieder hatte es im Gemeinderat auch Kritik an den Zahlen gegeben, etwa weil die Bahn Daten eines Zeitraums lieferte, in dem wegen Bauarbeiten weit weniger Güterzüge fuhren. Zweifel gab es zudem an den Prognosen. Mit dem Ausbau der Rheintalstrecke sei für ihn klar, dass die Strecke noch stärker betroffen werde, als es die Zahlen weismachten, hatte Wolf Ohl von den Korntaler Grünen einmal gesagt. Die Bahn hatte wenig entgegenzusetzen, nur: „Behaupten kann man viel.“

Kommentar: Unerhört

Kommentar: Unerhört

Das EBA will von den Bürgern wissen, wie sehr sie der Bahnlärm belastet. Es hat dazu eine Öffentlichkeitsbeteiligung gestartet. Das hört sich zunächst gut an – doch beim genauen Blick auf die Karten und Zahlen kann man am guten Willen zweifeln. Denn nicht nur, dass das EBA eine EU-Richtlinie erst deutlich verspätet umsetzt – die Lärmkartierung mit der zusätzlichen Komponente Öffentlichkeitsbeteiligung hätte eigentlich schon am 30. Juni 2012 fertig sein sollen –, es verärgert nun auch die Anwohner, indem es manche Abschnitte einfach weglässt. Dass sich die Behörde dabei auf eine Mindestanzahl von Zügen beruft, kann man vielleicht noch verstehen, auch wenn der Grenzwert sehr hoch ist. Dass manche Zahlen aber auf den Karten nicht nachvollziehbar sind und es quasi Geisterzüge gibt, die das EBA nicht erklären kann, wirkt wie Hohn und ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die diese Werte schon lange anzweifeln.

Die ganze Zahlenspielerei ist vor allem deshalb unverständlich, weil sich aus der Lärmkartierung zunächst kein Zwang zu weiteren Maßnahmen ableitet. Es ist laut EBA nur „denkbar“, dass Vorschläge der Bürger aus dem Beteiligungsverfahren später einmal aufgenommen werden können. Die Behörde wollte eigentlich zuhören – doch was sie nun macht, ist eher unerhört.