Ein 41-Jähriger hat monatelang die Ermittler genarrt, die den Mordfall Bögerl aufklären wollten. Er kassierte Geld für falsche Informationen und ist dafür selbst verurteilt worden. Jetzt konnte er die Strafe auf Bewährung reduzieren.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ellwangen - Das Gesicht von südländischem Teint, das Haar leicht grau meliert, die Stimme sanft: so sitzt der Mann vor dem Ellwanger Landgericht, der sieben Monate lang die Sonderkommission „Flagge“ genarrt hat. Ein ehrliches Gesicht, würden viele über den Familienvater aus Giengen (Kreis Heidenheim) sagen. So sah man das auch lange in der Stuttgarter Neckarstraße, dem Sitz der Sonderkommission zur Aufklärung des Mordes an Maria Bögerl. Die Fahnder lernten den 41-Jährigen zunächst als „Josef“ kennen.

 

Aus Sicht der Justiz begann dieser Fall von Betrug, Erpressung und falscher Verdächtigung im September 2012, nach Ausstrahlung der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“. Die Öffentlichkeit war mit dem anonymen Hinweissystem der Polizei im Internet vertraut gemacht worden. Kurz darauf meldete sich ein gewisser Tom. Er bezeichnete sich als Mittäter an der Entführung und Ermordung. Die eigentliche Tat sei von zwei Russen begangen worden. Zum Beweis all dessen bot Tom die Tatwaffe – ein Messer – an sowie einen Handschuh mit Blutantragungen der Toten. Josef, schrieb Tom, solle fortan sein Informationsübermittler sein. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass Josef selber gar nichts wisse.

77 Mal traf er sich mit den LKA-Leuten

Eine quälend lange Zeit hat es gedauert, bis die Sonderkommission dahinter kam, dass es weder Tom noch Josef gab, nur den 41-Jährigen aus Giengen. Bis es so weit war, hatten sich V-Mann-Führer des Landeskriminalamts 77 Mal mit dem Betrüger getroffen. Angelieferte Zigarettenstummel, Schließfachschlüssel, Fotos oder eine angebliche Uhr der Täter waren aufwendig untersucht worden, auch molekularbiologisch – und natürlich ohne Ergebnis. SEK-Einheiten hatten sich zweimal auf einem Ulmer Parkhausdeck postiert, wo sich Tom angeblich mit Beamten treffen wollte, um reinen Tisch zu machen. Tom, von dem Josef erzählte, er sei „in Rockerkreisen unterwegs“ und immer bewaffnet, galt den Beamten als gefährlich. Die Treffen platzten stets kurzfristig. Josef wurden in Tranchen rund 5000 Euro „Aufwandsentschädigung“ ausbezahlt. Der Mann kannte sich mit so was aus. Früher schon einmal war er für die Zollbehörden als Informant tätig und half – gegen Geld – bei der Aufklärung eines Zigarettenschmuggels.

Für den 41-Jährigen ungelernten Arbeiter begann dieser Fall weit vor dem September 2012. Wegen einer geplatzten Selbstständigkeit habe er hohe Schulden gehabt, erzählt er vor Gericht. 2010 brach er sich beim Trampolinspringen einen Lendenwirbel, musste operiert werden, verlor den Job bei einer Zeitarbeitsfirma. Kaum aus der Klinik zurück, erzählt er, habe seine Frau einen schweren Epilepsieanfall erlitten und auch die Stelle verloren. Die Stadtwerke stellten den Strom ab, beim Vermieter des Hauses, in dem die Familie wohnte, liefen 30 000 Euro Mietschulden auf. „Das kam aus heiterem Himmel“, sagt der 41-Jährige. Er sei panisch gewesen, als er sich bei den Bögerl-Fahndern meldete.

Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen

Drei Jahre Haft verhängte Ende 2013 das Amtsgericht Heidenheim gegen den Angeklagten. Die Strafe fiel auch deswegen deftig aus, weil der 41-Jährige Fotos und Lebensdaten von angeblichen Tätern an die Soko lieferte, die mit der Tat nichts zu tun hatten. Auf diese Weise geriet ein Mann aus Tuttlingen in Verdacht; er wurde über Wochen beschattet und abgehört. Dessen Daten hatte sich der 41-Jährige über einen Chatkanal im Internet besorgt. Auch einem unschuldigen Brüderpaar aus Giengen hetzte er die Polizei auf den Hals. Vors Ellwanger Landgericht ist der Mann gezogen, um seine Strafe auf ein Bewährungsmaß zu reduzieren. Müsse er ins Gefängnis, sagte er, wäre das für die Lebensgrundlage seiner Familie eine Katastrophe. Darum ist er in die Berufung vor dem Ellwanger Landgericht gegangen. Die Staatsanwaltschaft hat als Reaktion darauf eine um ein halbes Jahr erhöhte Haftstrafe gefordert.

Der Anwalt des 41-Jährigen schildert das Tatgeschehen als eine Situation, in der ein Mann, der nach dem letzten Strohhalm greift, auf Polizeibeamte treffe, die irgendwie dasselbe tun. Bis heute hat es nie eine echte heiße Spur gegeben. Ein Kriminalhauptkommissar vom LKA, der als Zeuge auftritt, berichtet von dem Druck, der bis heute herrsche. Er habe sich geduzt mit allen Beamten in Stuttgart, sagt wiederum der 41-Jährige. Zugleich sei ihm gesagt worden: „Du kommst aus der Nummer nicht mehr raus.“ Das Geld, seine Aufwandsentschädigung, sei ihm sogar ins Haus nach Giengen gebracht worden. „Man hat mir Zucker um den Mund geschmiert.“ Der Richter darauf: „Es klingt, als ob Sie das Opfer gewesen wären.“

Strafe zur Bewährung

Dem so skizzierten Selbstmitleid des Giengeners steht eine Entschuldigung gegenüber, die er an die Angehörigen der Familie Bögerl richtet. Er habe damals an die Nebenwirkungen seiner Tat nicht gedacht. „Es tut mir unendlich leid.“ Zum ersten Mal in seinem Leben habe er vor Kurzem eine Festanstellung bekommen, verdiene jetzt gut als Monteur, bekomme Auslandszulagen. Er wolle alles zurückzahlen. Aus der Tasche zieht er ein kleines Porzellanherz und legt es vor sich auf den Tisch. Seine jüngste Tochter habe es ihm am Abend zuvor geschenkt, sagt er, mit allen guten Wünschen für den Prozess.

Der Vorsitzende Richter reduziert die Strafe auf zwei Jahre, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Die 5000 Euro muss der Verurteilte in Tranchen an die Staatskasse zurückzahlen. Der 41-Jährige schließt lange die Augen, nachdem das Urteil verlesen ist. Das kleine rote Herz hat er wieder in seine Verwahrung genommen.