Sie geben vor, gehörlos zu sein, wenn sie um Spenden betteln. Und dann fehlt plötzlich der Geldbeutel. So erging es einer 82-jährigen Frau in Leinfelden-Echterdingen.

Leinfelden-Echterdingen - Eigentlich wollte die 82-jährige Frau Menschen mit Behinderungen etwas Gutes tun. Doch diese Hilfsbereitschaft nutzte eine Bettlerin aus und raubte der Seniorin vor Kurzem in Echterdingen ihr Portemonnaie mit 150 Euro und dem Personalausweis. Das erzählt Martin Bocksch. Bei der Frau handelt es sich um seine Schwiegermutter. Die 82-Jährige war zuvor in der Filiale der Commerzbank an der Hauptstraße in Echterdingen gewesen und hatte Geld abgehoben. Dort habe sie eine Frau gesehen, deren Alter sie auf Anfrage als Mitte bis Ende 20 beschreibt.

 

Die alte Frau hat Mitleid gehabt

Später sah die Seniorin diese auf der Fußgängerbrücke wieder, die nahe des S-Bahnhofs Echterdingen über die Gleise zur Ziegeleistraße führt. „Sie hielt mir einen Zettel hin und bat um Spenden für Taubstumme“, berichtet die Seniorin. Sie habe Mitleid gehabt und ihr zwei Euro geben wollen. „Danach hat mich die Frau überschwänglich umarmt und ist weggesprungen“, sagt die 82-Jährige. Sie sei mit ihrem Rolllator weitergegangen. „Als ich in meine Parkatasche langte, habe ich gemerkt, dass mein Portemonnaie weg war“, erzählt sie.

Bocksch sagt über seine Schwiegermutter: „Sie hat den Vorfall recht gut überstanden und geht weiterhin aus dem Haus.“

Bei der Pressestelle des Polizeipräsidiums Reutlingen sei der Fall nicht bekannt, sagt der Sprecher Michael Schaal. Dabei hatte Bocksch die Polizei informiert, und die Polizisten seien bei seiner Schwiegermutter gewesen. Schaals Kollege Christian Wörner kennt aber generell die Masche, dass Bettler um Geld für Taubstumme bitten. „Das kommt im ganzen Bundesgebiet vor. Das sind keine Taubstummen, sondern dahinter stecken Vereinigungen aus Osteuropa.“ Er rät, diesen Leuten nichts zu geben, und warnt, dass die Gefahr bestehe, in dieser Situation bestohlen zu werden.

Der Bürgermeister hat selbst entsprechende Erfahrungen gemacht

Dieter Steuer vom Vorstand des Landesverbands der Gehörlosen, stellt klar, dass seine Organisation und auch andere Gehörlosenvereine mit einer solchen Sammelaktion nichts zu tun haben. „Ich möchte darauf hinweisen, dass es sich dabei tatsächlich um eine Betrügergruppe handelt. Diese Leute sind ja hörend, spielen aber vor, gehörlos zu sein.“

Generell ist es nicht verboten, um Spenden zu bitten. Tun das aber Leute und spiegeln einen falschen Zweck vor, so handelt es sich dabei schlichtweg um Betrug.

Der Sozialbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen Carl-Gustav Kalbfell ist vor Monaten Bettlern, die vorgeben taubstumm zu sein, auf dem Neuen Markt in Leinfelden begegnet. „Sie haben mir ein Klemmbrett gezeigt und um Spenden gebeten“, erinnert er sich. Ihm sei aufgefallen, dass auf dem Papier kein Verbandsname, keine Internetseite und noch nicht mal eine Adresse stand. „Solch ein Geschäftsgebahren hat keine anerkannte Organisation“, sagt Kalbfell. Er habe sich mit dem Bettler austauschen wollen. „Er hat wütend gesagt: ‚Du bist doch die Polizei‘ und sei sofort weggegangen“ Taubstumm sei der jedenfalls nicht gewesen. Er rät, von solchen Bettlern Abstand zu halten und nichts zu geben, wobei das jeder selbst entscheiden müsse.

„Das ist aus der Zeit gefallen“

Bevor er Sozialbürgermeister wurde, arbeitete Kalbfell im Sozialministerium. Darum kennt er sich mit der Arbeit für Menschen mit Behinderungen aus. „Für ein Wohnheim für Taubstumme zu sammeln, ist aus der Zeit gefallen. Der Landesaktionsplan und die UN-Behindertenrechtskonvention fordern, dass Gehörlose dezentral wohnen. Denn dabei geht es um Inklusion.“

In den Kommunen Filderstadt, Waldenbuch und Steinenbronn gebe es keine solche Bettelfälle. Das sagen die Ordnungsamtsleiter Jan-Stefan Blessing aus Filderstadt, Simon Römmich aus Steinenbronn und Katharina Jacob aus Waldenbuch. Bei ihnen habe sich in jüngerer Zeit niemand gemeldet. Peter Widenhorn, der Pressesprecher des für Waldenbuch und Steinenbronn zuständigen Polizeipräsidiums Ludwigsburg sagt auch, dass es 2017 noch keine Einsätze wegen Bettelei in den Kommunen gegeben hat.