Lesenachschub gibt es jetzt auch mitten in der Nacht: Die Stadtbibliothek eröffnet die Bibliothek für Schlaflose. 400 Bücher stehen hier rund um die Uhr zur Ausleihe bereit. Nur so recht gemütlich ist der Vorraum nicht.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - „Wenn ich einschlafen will, muss ich immer erst eine ganze Menagerie an Stimmen zum Kuschen bringen. Man glaubt gar nicht, was für einen Lärm die in meinem Zimmer machen“, rezitierte die Regisseurin, Schauspielerin und Sprachdozentin Barbara Stoll im Max-Bense-Forum der Stadtbibliothek am Mailänder Platz den österreichischen Schriftsteller Karl Kraus.

 

Auch die anderen Gedichte, die Stoll ausgewählt hatte, drehten sich um den Schlaf: „Hotel Insomnia“ von Charles Simic trug sie vor, ebenso wie das Gedicht „Schlafwagen“ von Marie Luise Kaschnitz oder „Schläferung“ von Hans Magnus Enzensberger.

Schlafmasken in der Bibliothek

Um sie herum fand sich ein ungewöhnliches Bild: Viele Besucher trugen Schlafmasken vor den Augen, wie sie sonst nur die Passagiere in Flugzeugen nachts benutzen.

Wer mit Schlafmaske erschien, erhielt bei der musikalisch-literarischen Nachtstunde anlässlich der Eröffnung der neuen Bibliothek für Schlaflose freien Eintritt. Passend dazu war der Raum komplett dunkel. Im Scheinwerferlicht standen nur Barbara Stoll – während sie einige Texte zur Nacht rezitierte – und Christiane Hasselmeier, die zwischen den Leseeinheiten am Flügel für die musikalische Begleitung sorgte. Hasselmaier hatte passende Musik ausgesucht, nämlich die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Laut einer Anekdote schrieb Bach diese für einen befreundeten russischen Grafen, der sich damit in schlaflosen Nächten etwas aufheitern wollte.

Ein kleiner Raum für „bibliophile Mondsüchtige“

Nach der musikalisch-literarischen Nachtstunde für Traumwandler und Schlaflose schnitt die stellvertretende Direktorin der Stadtbibliothek, Christine Brunner, symbolisch ein buntes Band durch und gab den Blick in die Bibliothek für Schlaflose frei. „Wir wollen nachts einen Ort bieten, an dem unsere Besucher Anregung, Zerstreuung und Entspannung finden“, sagte sie. Seit 440 Tagen sei die Stadtbibliothek am Mailänder Platz geöffnet, täglich von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends. „Diese zwölf Stunden reichen uns nicht mehr aus“, ergänzte sie.

Der kleine Raum im östlichen Eingangsbereich der Bibliothek soll für diejenigen sein, die genau wie der Schriftsteller Karl Kraus „die Menagerie an Stimmen“ zum Schweigen bringen wollen oder einfach zur Spezies der Nachtschwärmer gehören.

So recht gemütlich ist’s nicht

Die  „bibliophilen Mondsüchtigen“ nennt Brunner diejenigen, die sich künftig nachts mit Lesestoff versorgen will. Nach der Einstimmung auf die Nacht zeigte Brunner den Besuchern, wie die neue Bibliothek für Schlaflose funktioniert.

Für die Nutzung ist ein gültiger Leseausweis notwendig. 24 Stunden am Tag kann man sich damit künftig aus einem der 37 bläulich leuchtenden Fächer bedienen. Nach dem Scannen des Ausweises und der Eingabe der Nummer des gewünschten Faches, gibt der Medienschrank die Bücher frei. Rund 400 Bücher stehen den Nachtschwärmern insgesamt zur Verfügung. Die Mitarbeiter der Stadtbibliothek füllen am Morgen die leeren Fächer wieder auf.

Besonders gemütlich ist der Raum freilich nicht

Zum gemütlichen Verweilen lädt der kleine Vorraum jedoch nicht ein, denn einen Sitzmöglichkeit gibt es nicht. „Anfragen hierfür haben wir aber schon bekommen“, sagte Brunner.

„Optisch sehr reizvoll“ findet die Besucherin Cilia Tournier die Bibliothek für Schlaflose. Nutzen werde sie diese aber eher nicht, auch wenn sie gelegentlich schlaflos sei. Der Weg sei ihr nachts zu weit, und sie habe viele ungelesene Bücher zu Hause. Alle anderen können sich mit Titeln wie „Das Haus der Träume“ in den Schlaf lesen.