Wissenschaftler in Weihenstephan prüfen, wie man mit alten Stämmen der einzelligen Pilze dem Bier bisher unbekannte Aromen verleihen kann. Das Reinheitsgebot lässt hier viel Raum für neue Entwicklungen.

Stuttgart - Die Kunst, nach dem Reinheitsgebot Bier zu brauen, ist schon 500 Jahre alt – ausgereizt ist sie allerdings noch lange nicht. Ganz im Gegenteil: Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland mischen die kleinen Brauereien seit einigen Jahren den Markt auf. Ihr Anteil am Markt mag noch gering sein – ihr Einfluss ist es nicht. Nach langen Jahren, in denen vor allem reproduzierbare Ergebnisse gefragt waren, haben sie wieder die Vielfalt des Geschmacks zum Ideal erhoben.

 

So kam es, dass alte Methoden wieder entdeckt wurden, wie etwa die Kalthopfung, auch Hopfenstopfen genannt. Bei dieser Methode wird der Hopfen viel später als sonst der Bierwürze zugegeben, nämlich nach der Hauptgärung – zusätzlich zur Verwendung in der Würze. Dabei werden weniger Bitterstoffe, dafür aber mehr Öle aus dem Hopfen gelöst. Diese Wiederentdeckung hat zu neuen Pflanzenzüchtungen geführt, sogenannten Aromahopfen. „Erst hat der Hopfen das Bier verändert, dann das Bier die Hopfenwelt“, heißt es in einer Bilanz der Nürnberger Hopfenhandelsgesellschaft Barth Haas Group.

Abkehr von den immer gleich Hefesorten

Nun zeichnet sich ein neuer Trend ab, nämlich die Abkehr von der Verwendung immer gleicher, wenn auch zuverlässiger Hefesorten. Ihre Aufgabe ist, den Zucker der Bierwürze in Alkohol umzuwandeln. Dabei stammen rund 80 Prozent aller Aromastoffe im Bier aus der Hefe oder werden von ihr aus den anderen Zutaten gelöst, sagt der Mikrobiologe und Fermentationstechnologe Mathias Hutzler. Er leitet am Forschungszentrum Weihenstephan das Hefezentrum. Wissenschaftler schätzen, dass es weltweit etwa 670 000 Hefearten gibt, von denen jede über ein einzigartiges Aromaprofil verfügt. 1500 davon sind laut Hutzler bekannt. Im Hefezentrum lagern etwa 300 Stämme, bei rund 80 ist das Aromaprofil gut beschrieben. Für die Herstellung von Bier werden von den marktbestimmenden Brauereien aber nur etwa 20 verschiedene Hefestämme verwendet.

Bierbrauer unterscheiden vor allem zwischen obergäriger und untergäriger Hefe. Die obergärige Hefe, die auf der Flüssigkeit treibt und daher ihren Namen hat, ist die ältere. Sie arbeitet eher bei wärmeren Temperaturen und kommt bei Biersorten wie Kölsch, Alt und Weißbier zum Einsatz. Die untergärige Hefe, die eher auf den Boden des Behälters sinkt, ist ein Hybrid aus einer Wildhefe und der obergärigen Hefe. Sie kennt man erst seit etwa 500 Jahren. Sie gedeiht auch bei kühleren Temperaturen und machte Biersorten wie Helles, Lager und Pilsner möglich. Beide Hefen wurden verwendet, lange bevor man mithilfe von Mikroskopen im 19. Jahrhundert begann, den Gärprozess und den Charakter der Hefe zu verstehen. „Damals wussten die Menschen nur, dass der auftreibende Schaum wichtig ist“, sagt Hutzler.

Die Hefe prägt den Biergeschmack am nachhaltigsten

Auch heute prägt die Hefe von allen vier Zutaten, die das Reinheitsgebot zulässt, den Geschmack eines Bieres am nachhaltigsten. Deshalb suchen Spezialisten wie Mathias Hutzler oder Kevin Verstrepen von der belgischen Universität Leuven an den entlegensten Orten nach den Vorfahren jener Wildhefe, die als Urahn der untergärigen Hefe gilt – Hutzler zum Beispiel begab sich in den Keller der Vulkanbrauerei in der Eifel, den tiefsten Braukeller der Welt. Dort hat er zusammen mit seinem US-Kollegen Steven Wagner nicht nur Proben aus alten Fässern genommen, sondern auch aus Bürsten, von Werkzeugen und sogar von den Wänden. Er hat zwar nicht die Art gefunden, die er gesucht hat, aber immerhin einen engen Verwandten.

Der Nachweis der Wildhefe, die einst zur Entstehung der untergärigen Hefe führte, fehlt also in Europa noch. Nachdem sie zuerst in Patagonien in Pflanzengallen auf Birken gefunden worden war, haben Wissenschaftler sie inzwischen auch in Tibet, Neuseeland sowie in den USA in den beiden Staaten North Carolina und Wisconsin entdeckt. Nur in Deutschland, wo sie einst die Geschichte des Bierbrauens wendete, bleibt sie bisher unauffindbar.

Wildhefe sorgt für fruchtige Aromen

Doch Hutzler lässt sich davon nicht entmutigen. Denn die Hefe, die er im Eifelkeller auf alten Ausrüstungsgegenständen fand, ist im Hinblick auf Aromen ein durchaus ergiebiger Fund: Sie sorgt für fruchtige Aromen, wie sie zurzeit auf dem Markt gefragt sind. Sie ist übrigens nicht der einzige vielversprechende Neuzugang im Archiv des Hefezentrums – Hutzler und seine Kollegen experimentieren inzwischen mit 18 neuen Hefestämmen, darunter auch solchen, die einen Hauch von Gummibärchenaroma ins Bier bringen könnten.

Mathias Hutzler hat auch schon eine Idee, wo er noch nach der Wildhefe suchen könnte: auf Eichen. Denn dort hat man ebenfalls schon Verwandte der gesuchten Hefen gefunden, außerdem wurde Historikern zufolge in früheren Zeiten manchmal auch Eichenrinde dem Bier beigegeben.

Wie die Hefe ins Bier kommt

Vielfalt
Das Hefezentrum am Forschungszentrum Weihenstephan bietet Bierbrauern aktuell 70 Hefestämme an. Die Wissenschaftler analysieren dort wegen der großen Nachfrage nach ungewöhnlichen Aromen inzwischen auch alte Hefesorten aus der eigenen Sammlung neu.

Wirkung
Die Hefe prägt das Aroma eines Bieres am nachhaltigsten: Wenn ein und dieselbe Bierwürze mit unterschiedlichen Hefen vergoren wird, schmeckt das Bier jedes Mal ganz anders. Viel Anklang bei Verkostungen in Weihenstephan fand eine Hefe, die das damit gebraute Bier nach Beeren, Honig und Gummibärchen schmecken lässt.

Liebling
Weltweit wird die untergärige Hefe vom Stamm Saccharomyces pastorianus var. carlsbergensis TUM 34/70 wohl am häufigsten eingesetzt. Sie liefert helle Biere wie Export oder Pils